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Theater und Corona Digitales Theater hat Potenzial – auch in Zukunft

Schritt für Schritt können die Theater ihren Betrieb wieder aufnehmen. Hoffentlich hören damit nicht auch die digitalen Theaterexperimente auf, die in der letzten Wochen entstanden sind.

Endlich wieder ins Theater. Endlich wieder gemeinsam Kunst erleben. Endlich wieder Augenkontakt, Applaus und Gespräche mit anderen Zuschauerinnen im Foyer.

Vorbei die einsamen Theaterabende auf dem eigenen Sofa mit mal besseren und mal schlechteren Streamings. Vorbei die Not der Theaterschaffenden, ihr Publikum im Netz treffen zu müssen.

Vorbei aber hoffentlich nicht das Experimentieren im virtuellen Raum.

Digitale Recherchen

Die Freude, dass die Lockerungen wieder reale Theatererlebnisse zulassen werden – wenn auch unter Einhaltung besonderer Schutzkonzepte – sollte nicht dazu führen, sich dem Digitalen und seinem theatralen Potenzial wieder zu verschliessen.

Denn nach anfänglichen technischen sowie künstlerischen Anpassungsschwierigkeiten sind in den letzten Wochen Online-Theaterprojekte entstanden, die dem analogen Theaterbesuch sehr wohl die Stirn bieten können und den Theaterbegriff auf eine besondere Art ausweiten.

Zoom ist (auch) eine Bühne

Die argentinische Regisseurin Lola Arias hat « My documents – share your screen » vor einigen Jahren als Festivalformat entwickelt. Sie lädt dafür internationale Künstler ein, ihre privaten Archive fürs Publikum zu öffnen und eine persönliche Recherche oder Obsession von ihrem Desktop aus zu teilen.

In den letzten Wochen hat sie dieses Projekt ins Netz verlegt. Erstaunlich dabei: Die aus der Not geborene digitale Variante ist mindestens so gut wie die analoge.

Das Publikum wird ernst genommen

Entscheidend dabei ist, dass Lola Arias und die eingeladenen Künstler nicht nur eine virtuelle Bühne bespielen, sondern mit den Mitteln von Zoom ein Live-Theatererlebnis schaffen, bei dem das Publikum in seiner Präsenz wahr und als Mitspieler ernst genommen wird.

Frau mit Kamera in den Armen, daneben ein Kind.
Legende: Die chinesische Performerin Zhang Mengqi erzählt in «My documents» von ihrer Recherche in der Provinz Hubei. Zhang Mengqi

Der virtuelle und der analoge Raum funktionieren nach unterschiedlichen Kriterien. Das haben wir in den letzten Wochen in vielen Bereichen erlebt. So auch im Theater.

Wenn die virtuelle Bühne zum Theater werden soll, müssen sich die Künstlerinnen dem digitalen Rahmen anpassen und mit seinen Besonderheiten spielen.

Chaträume und digitale Spiele

Das Projekt «Twin Speaks» der freien Theatergruppe «vorschlag:hammer» hatte letzten Herbst im Roxy Birsfelden Premiere. Für die folgenden Gastspiele sah sich die Gruppe herausgefordert, das Stück «coronagerecht» anzupassen.

Sie verwendete dafür den Messenger Telegram, der das Publikum als Chatgruppe bündelt und den Zuschauerinnen Videos, Audios und Textnachrichten zuschickt.

Wie entsteht aus einzelnen Zuschauern ein Publikum? Diese Frage stellt sich im analogen wie im digitalen Theater.

Die deutschschweizerische Theatergruppe «machinaEx» gestaltet seit Jahren theatrale Games. Dabei müssen die Mitspieler zusammen Aufgaben lösen und werden zu den eigentlichen Protagonisten des Stücks. Mit «Lockdown» hat die Gruppe gezeigt, dass das auch – oder gerade auch – im virtuellen Raum funktioniert.

Der digitale Raum macht es möglich, gemeinsam an einem Theaterereignis teilzunehmen, ohne dass sich alle am selben Ort versammeln. Hierin liegt durchaus ein Potenzial für die Zukunft des Theaters.

Denn was in den letzten Wochen klar geworden ist: Das digitale und das analoge Theater sind keine Konkurrenten. Und: Gutes Theater kann hier wie dort stattfinden.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 28.05.2020, 17:0 Uhr

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