Derzeit tourt ein rotweisses Zirkuszelt durch die Schweiz, in dem sich alles um Sex dreht. Darin wird nämlich «Das Sex Stück» gezeigt. Dieses nähert sich dem Thema Sexualität ohne Tabus und ohne falsche Scham, dafür mit viel Musik und Tanz.
Zwar sind Sex und Gender im zeitgenössischen Theater Dauerthemen. Dass diese aber in einem Zelt verhandelt werden, sei besonders, sagt Co-Regisseurin Beatrice Fleischlin. Mit dem aussergewöhnlichen Spielort will sie ein Publikum ausserhalb der Theater-Bubble ansprechen.
Zirkuskuppel statt Theater-Bubble
Sie glaube, dass immer noch nur eine bestimmte Gruppe von Menschen ins Theater gehe, ergänzt Co-Regisseurin Nina Hellenkemper. «Die Hemmschwelle, in den Zirkus zu gehen, ist dagegen niedriger.»
Dass die Theaterfrauen Sex auf der Bühne thematisieren, hat noch andere Gründe. Die Sexualität sei ins Digitale abgewandert, sagt Hellenkemper. Sie im Theater zu verhandeln, sei wichtig, um sie wieder unter Menschen zu bringen.
Heute sei Sex omnipräsent, pflichtet ihr Fleischlin bei. Trotzdem fehle es uns an Sprache für Sex. Das wollen die beiden Regisseurinnen mit ihrem Stück ändern.
Kaffee und Konsens
Da tritt dann zum Beispiel ein junger Mann auf und singt, dass sich die Welt des Gigolos verändert habe. Begleitet wird er von einer Band. In der nächsten Nummer erklärt eine Darstellerin, was Konsens, also Einverständnis beim Sex, meint – und zwar anhand des Kaffeetrinkens: «Wenn deine Freundin nicht weiss, ob sie Kaffee möchte, darfst du sie nicht zwingen, Kaffee zu trinken.»
Das Stück lebe von Erfahrungen und Geschichten der Darstellenden, sagt Beatrice Fleischlin. Einzelne Nummern der Revue hätten diese selbst geschrieben. Deshalb kommen bestimmte Aspekte von Sex vor, während andere fehlen.
«Wir haben zum Beispiel diskutiert, ob wir eine Trans-Person casten müssen. Aber es kam uns seltsam vor, ein Casting zu machen, nur um bestimmte Typen von Menschen reinzuholen», erklärt sie.
Dafür reflektiert eine Darstellerin das Thema Rassismus und Sex. Beim Flirt in der Bar habe ein Typ ihr gesagt, dass er sich Sex mit ihr «voll exotisch» vorstelle, erzählt sie. Ob er denn erwarte, dass bei ihr zu Hause Äffchen applaudierten, während er sie ausziehe?
Unverblümt, aber nicht peinlich
Die teils realen, teils fiktiven Sex-Geschichten werden unverblümt direkt präsentiert. Peinlich wirkt das nie. Wenn Menschen sich verletzlich zeigten, seien solche Erzählungen nicht unangenehm, ist Nina Hellenkemper überzeugt. Vielmehr lösen sie beim Publikum Gefühle aus und wecken Erinnerungen.
Dabei zeigt das Stück, dass es unterschiedliche Formen von sexuellem Erleben geben kann. «Die Vorstellung, dass Sex nur passiert, wenn Genitalien im Spiel sind, ist eine eingeschränkte», sagt Beatrice Fleischlin.
Mythos Jungfernhäutchen
Neben Sehnsüchten und Erlebnissen präsentiert das Stück auch historische und wissenschaftliche Fakten. So schildert es etwa, wie die Entwicklung des Vibrators mit der Krankheit Hysterie zusammenhängt.
Oder die Theaterfrauen erklären, warum die tatsächliche Grösse der Klitoris offiziell erst 1998 entdeckt wurde und was es mit dem Mythos des Jungfernhäutchens auf sich hat. Dabei verbindet das «Sex Stück» Aufklärung stets mit Humor und Unterhaltung.
Wie in einer typischen Revue wird im «Sex Stück» eine Nummer nach der andern dargeboten – und zwar ohne logische Dramaturgie und mit wechselnden Figuren. Das verführt die Zuschauerinnen und Zuschauer, ihre Sexualität zu reflektieren und über Sex zu reden. Denn Sex, so Fleischlin, sei etwas Zentrales unserer Existenz.