Der Lockdown im letzten Frühling kam Gardi Hutter nicht ungelegen. Anstatt nach Neuseeland auf Tournee zu gehen, stieg sie in ihr Archiv.
Kistenweise Tagebücher, Fotos und Zeitungsausschnitte hat sie sortiert. In gerademal zehn Monaten ist aus diesem Material und vielen Gesprächen mit der Historikerin Denise Schmid ihre Biografie entstanden. Der Titel «Trotz allem» kommt nicht von ungefähr.
Trotz und Auflehnung spielen eine grosse Rolle im Leben der Schweizer «Clownerin». Die Wortschöpfung verdankt Gardi Hutter einem Moderator, der vor einem ihrer Auftritte die Begriffe Clown und Schneiderin durcheinanderbrachte.
Eine Befreiungsgeschichte
Der Begriff macht deutlich, wie pionierhaft das Leben und die Kunst von Gardi Hutter sind. Eine weibliche Clownfrau, eine Figur wie ihre tapfere Hanna hat es zuvor nicht gegeben.
Die Autorin und Historikerin Denise Schmid bettet das ereignisreiche Leben und die Wendepunkte dieser Pionierin in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang und die Zeitgeschichte. An Gardi Hutter zeigt sich beispielhaft die Entwicklung einer 68erin. Es ist eine Befreiungs- und eine Emanzipationsgeschichte.
Irmgard Hutter wird im März 1953 im St. Gallischen Altstätten geboren. Ihre Eltern führen ein angesagtes Modehaus. Sie wächst mit drei Brüdern in einem streng katholischen Umfeld auf.
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Das kleinbürgerliche Milieu und die prüde Erziehung sind prägend. Ebenso wie die katholische Bilderwelt, die Fasnacht, die festlichen Umzüge.
Eine Rebellin findet ihren Weg
Nach dem Mädcheninternat besucht sie in St. Gallen die Handelsschule. Sekretärin zu werden ist allerdings keine Option.
Gardi entwickelt sich zu Rebellin und politischen Aktivistin. Die junge, wilde Gardi sucht sich schon früh ihren eigenen Weg. An der Zürcher Schauspiel Akademie absolviert sie als eine der ersten den neuen Lehrgang Theaterpädagogik. Von einer Karriere als Schauspielerin rät man ihr ab. Sie sei zu klein.
Bereits da beginnt Gardi, sich an den weiblichen Rollenbildern und den für Frauen vorgesehenen Figuren in der Theaterliteratur abzurackern. Dieser Teil ihrer Biografie ist auch ein Stück Theatergeschichte.
Neue private Details
In der lebendigen Kleinkunstszene von Mailand findet Gardi eine Heimat. Und die grosse Liebe. Der gleichaltrige Ferrucio Cainero ist jener Partner, der die Leidenschaft für das Theater, den schwarzen Humor und unkonventionelle Lebensformen mit Gardi teilt.
Die Beziehung mit ihm, die Ehe und ihre beiden Kinder – das ist jener Teil ihres Lebens, den Gardi Hutter bislang vor der Öffentlichkeit fernhielt. Die Biografie von Denise Schmid wirft einen sorgfältigen und berührenden Blick in dieses Privatleben.
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Zwischen den Buchdeckeln ist es vor Verkürzungen geschützt, gut aufgehoben und wird ergänzt mit vielen Fotos. Dass das nie voyeuristisch ist, liegt an der journalistischen Erzählweise von Denise Schmid.
Aus allem etwas machen – im Idealfall das Beste
Sie lässt auch zahlreiche Weg- und Lebensgefährten von Gardi Hutter zu Wort kommen. So ergibt sich über fast 500 starke Seiten ein multiperspektivischer Blick auf das Phänomen Gardi Hutter.
Die international bekannte Künstlerin hat so manche Grenze überschritten und auf der Suche nach ihrer eigenen Clownfigur keinen Aufwand und keine Opfer gescheut. Auch das leistet die Biografie von Denise Schmid: Einblick zu geben in die grosse Kluft zwischen Prominenz und persönlich schwierigen Zeiten.
Der Titel der Biografie «Trotz allem» bezieht sich auch darauf. Auf Gardi Hutters herausragende Fähigkeit, aus allem etwas zu machen. Im Idealfall das Beste.