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Die Kurfürstin in einer roten Robe am Singen. Sie ist umgeben von anderen Schauspielerinnen.
Legende: Kurfürstin Marie (Cecilia Berglund) und ihre Hofdamen in voller Aktion. SRF / Miriam Künzli

«Vogelhändler» auf der Bühne Ein Dorf im Operetten-Fieber

Über die Operette kann man die Nase rümpfen. Oder sich ins Vergnügen stürzen – wie es zurzeit in Hombrechtikon Laien und Profis gemeinsam tun.

«Mama auf der Bühne zu sehen ist mega cool», sagt Romina und greift sich eine weitere Handvoll Pommes Chips: Nachtessen bei der Familie Müller im Mai dieses Jahres. Die Kickoff-Veranstaltung liegt wenige Tage zurück, wo die gesamte Besetzung zum ersten Mal zusammengekommen und die Regisseurin Bettina Dieterle die Operette «Der Vogelhändlers» vorgestellt hatte.

Bettina Dieterle auf der Bühne.
Legende: Für die Jubiläumsaufführung engagiert als Regisseurin und künstlerische Leiterin: Bettina Dieterle. SRF / Miriam Künzli

«Ein ziemliches Krüsimüsi», kommentiert Sohn Silvio die Geschichte des Vogelhändlers. Der Adam will die Christel heiraten, doch dafür braucht er Geld, respektive einen Job.

Den will die Christel ihm beim Kurfürsten beschaffen. Dort trifft sie auf den windigen Neffen Stanislaus, der die Christel ganz reizend findet und sie mit seinem Charme umgarnt. Währenddessen verguckt sich Adam in die Kurfürstin, die wiederum ihr eigenes Süppchen kocht. Tatsächlich: ein riesiges, amouröses Durcheinander auf der Bühne.

Hohes Niveau, grosse Freude

«Das ist eigentlich egal – Hauptsache Operette», meint Silvio, der vom Operettenfieber inzwischen ebenso erfasst ist wie die übrigen Mitglieder der Familie Müller.

Die Schauspieler warten auf ihren Auftritt.
Legende: Der Hofstaat beim Warten auf den Auftritt. SRF / Miriam Künzli

Zusammen mit rund 60 andern Laien, die seit 25 Jahren in Hombrechtikon eine Operette auf die Bühne bringen, machen sie hinter und auf der Bühne mit.

Das Niveau ist hoch. Dafür sorgt seit elf Jahren der musikalische Leiter Caspar Dechmann, der die Chormitglieder jeweils ab März in wöchentlichen Proben ziemlich fordert.

Caspar Dechmann stützt sich auf ein Klavier.
Legende: Auch bei Laien schraubt er seine Ansprüche nicht herunter: Caspar Dechmann, der musikalische Leiter. SRF / Miriam Künzli

«Da entsteht eine unglaubliche Energie – vor allem auch in der Mischung zwischen den Laien und dem professionellen Orchester und den ebenfalls professionellen Solisten», sagt Dechmann. «Eine Energie, die man an staatlichen Bühnen selten antrifft.»

Die Schauspieler sitzen auf Stühlen. Sie machen Pause.
Legende: Mega cool! Mitmachen auf und hinter der Bühne. SRF / Miriam Künzli

«Ich kann eigentlich gar keine Noten lesen», sagt Elisabeth Lozza. «Doch Chorkollege Hürlimann hat jede einzelne Stimme auf CD gebrannt. Die höre ich dann im Auto, beim Bügeln, und trainiere so meinen Part.»

Anders ist es bei Riccardo Lozza. Er hat schon immer gesungen, im Chor, in einer Band. Zur Operette ist er gekommen, weil eine Kollegin ihn wegen seiner Stimme dazu ermuntert hat.

Riccardo und Elisabeth Lozza im Kostüm.
Legende: Sein Heiratsantrag war bühnenreif: Riccardo Lozza zusammen mit seiner Frau Elisabeth Lozza. SRF / Miriam Künzli

«Die Operette war gar nicht mein Ding», sagt Lozza. «Aber inzwischen ist sie aus meinem Leben kaum mehr wegzudenken.» Der Reiz dieses speziellen Genres? Viel Gesang und gute Unterhaltung. Denn anders als bei der Oper gibt’s keine wirklichen Dramen, geschweige denn Tote auf der Bühne.

«Liebe und Leidenschaft – auf und hinter der Bühne», schmunzelt Lozza und schaut zu Elisabeth hinüber. Beide lächeln verlegen und erzählen, wie sie sich während der Chorproben kennengelernt, wie Riccardo nach der letzten Operettenaufführung, als der Vorhang gefallen war, auf den Knien und mit einer roten Rose in der Hand, Elisabeth einen Heiratsantrag gemacht habe.

Eintauchen in eine andere Welt

60 Laien – Frauen, Männer, Kinder – sind von März bis September begeistert an der Arbeit, nähen in Tausenden von Stunden wunderschöne Kostüme, organisieren das Marketing, machen das Licht, die Maske, bauen das Bühnenbild, entwerfen Programmhefte, Singen im Chor, spielen Hofdamen und Bauernlümmel, verlieben und streiten sich, helfen einander.

Sie tauchen ab in eine Welt, die sich von ihrem Alltag unterscheidet. «In der Operette – auf der Bühne als Hofdame – kann ich Facetten ausleben, die in meinem normalen Leben keinen Platz haben», sagt Andrea Kuster.

Andrea Kuster im Porträt. Sie hat kurzes blondes Haar.
Legende: Für sie war die Operette eine neue Erfahrung: Andrea Kuster. SRF / Miriam Künzli

«Im Alltag muss ich ständig kleinere und grössere Entscheide treffen. In der Operette nimmt mir das der Dirigent und die Regisseurin ab. Das geniesse ich», ergänzt Heidi Tschachtli.

Nah an den Leuten

Zum 25. Geburtstag hat der Operettenverein Hombrechtikon die Schauspielerin und Regisseurin Bettina Dieterle engagiert.

Sie sagt: «Bei dieser Art von Volkstheater spüre ich einfach, dass es etwas mit den Leuten hier vor Ort, aus dieser Region rund um Hombrechtikon zu tun hat. Ganz direkt. Das fehlt mir oft auf den Bühnen der grossen Theater.»

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