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Zürcher Theaterspektakel 2018 «So etwas wie das Theaterspektakel gibt es nicht oft»

Das Zürcher Theaterspektakel beginnt, erstmals unter der künstlerischen Leitung von Matthias von Hartz. Wir haben den deutschen Regisseur und Ökonom auf der Landiwiese getroffen – zum Gespräch über neue Perspektiven im Theater und frischen Wind am Zürichsee.

Matthias von Hartz

Matthias von Hartz

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Matthias von Hartz ist seit 2018 der Künstlerische Leiter des Zürcher Theaterspektakels. Der gebürtige Deutsche studierte erst Volkswirtschaft, dann Regie. Vor seinem Wechsel nach Zürich leitet er in Nordrhein-Westfalen das Theaterfestival «Impulse», in Hamburg das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel und konzipierte in Berlin das Festival «Foreign Affairs» mit. Er ist momentan auch in der Leitung des «Athens & Epidaurus Festivals» tätig.

Porträt «Ein Rebell für die Landiwiese»

SRF: Matthias von Hartz, Sie sind Segler. Wie ist der Wind hier in Zürich?

Erstaunlich gut! Ich war ja schon am Bodensee und in Hamburg – und bin nach Zürich gekommen im Glauben, auf dem Zürichsee gäbe es keinen Wind.

Nun nehmen Sie als neuer künstlerischer Leiter Kurs aufs Theaterspektakel. Was bedeutet Theater für Sie?

Sobald jemand mit einer gewissen Kunstfertigkeit auf einer Bühne steht, finde ich das interessant. Dazu muss jemand noch nicht einmal etwas spielen.

Theater ist eine Plattform, die ganz viele Dinge möglich macht.

Es geht vielmehr darum, mit einem Zuschauer einen Raum, eine Erfahrung, oft auch eine biografische Geschichte zu teilen. Theater ist eine Plattform, die ganz viele Dinge möglich macht.

Erinnern Sie sich an Ihre erste Theatererfahrung?

Ich bin in Augsburg geboren, also war es natürlich die Augsburger Puppenkiste. «Jim Knopf» habe ich dort gesehen oder meinen grossen Liebling «Urmel aus dem Eis».

Video
Drei Fragen an Matthias von Hartz
Aus Kultur Extras vom 23.08.2017.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 12 Sekunden.

Warum haben Sie die Bühne später zu ihrem Beruf gemacht?

Mit 14 Jahren bin ich an den Bodensee gezogen. Dort ist es sehr schön, aber kulturell nicht wahnsinnig viel los. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung habe ich viel über Theater gelesen und gedacht: Das ist der interessanteste Teil der Zeitung. Da passiert was, da muss ich hin. Und so habe ich angefangen Theaterwissenschaft zu studieren.

Also kommen Sie gar nicht aus einer theateraffinen Familie?

Nein – meine Mutter ist Dolmetscherin, mein Vater hat bei einer Bank gearbeitet. Er war sehr erleichtert, dass ich erst Regie studiert habe, als ich schon ein Ökonomiestudium in der Tasche hatte. Beruhigt hat ihn letztlich, als er das erste Mal in der Zeitung von einer meiner Inszenierungen gelesen hat. Da hatte meine Theatertätigkeit auch für ihn seine Richtigkeit.

Sie sind ausgebildeter Regisseur und studierter Ökonom. Was ist wichtiger als Festivalleiter?

Ich habe nie als Ökonom gearbeitet, doch mein ökonomischer Hintergrund war immer hilfreich. Aber in jeder Kulturinstitution hat jemand die ökonomische Seite im Blick. Beim Theaterspektakel ist das Delphine Lyner, meine Co-Leiterin im Dreier-Leitungsteam.

Das gibt es nicht oft: Breite, Zugänglichkeit und gleichzeitig ein hohes Niveau.

Was unterscheidet das Zürcher Theaterspektakel von den anderen Festivals, die Sie bereits geleitet haben?

Dieser Ort ist einmalig – die Kombination von Sommerabend am See und hochkarätiger, darstellender Kunst auf den Bühnen. Das gibt es nicht oft: Breite und Zugänglichkeit und gleichzeitig ein hohes Niveau im Programm.

Wie bringen Sie das Theater und das Spektakel unter einen Hut?

Ich möchte die Landiwiese stärker mit dem verbinden, was in den Räumen stattfindet. So performen dieses Jahr auf der Wiese nicht nur Strassenkünstler, sondern zum Beispiel auch Reverend Billy: ein amerikanischer Schauspieler und Aktivist, der mit der Figur eines evangelikalen Fernsehpredigers arbeitet und irgendwas zwischen Agitation, ironischer Predigt und Gospel-Performance inszeniert.

Wollen Sie mit solchen Aktionen auch die Zuschauer erreichen, die nicht wegen des Theaters aufs Gelände kommen, sondern wegen des Essens?

Ich möchte die Wahrscheinlichkeit, dass man mit Kunst in Berührung kommt, ein bisschen erhöhen. Aber das heisst nicht, dass jeder ein Programm konsumieren soll, das ich vorschreibe. Das Festival ist lebendig, weil jeder sich heraussucht, was ihn interessiert.

Veranstaltungshinweis

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Das Theaterspektakel findet vom 16.8. bis 2.9.18 auf der Zürcher Landiwiese statt. Hier gibt’s Informationen und das diesjährige Programm.

Im Programm bleibt Migration ein wichtiges Thema, wie schon bei Ihrem Vorgänger Sandro Lunin. Warum dieser Schwerpunkt?

Im Theater kommt man an dem Thema nicht vorbei. Man begegnet permanent Geschichten von Displacement, Migration, Flucht. Von sich integrieren wollen und sich nicht integrieren können. Zunehmend kommt man auch mit migrantischen Künstler-Biografien in Berührung.

Das Theaterspektakel macht es sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell zur Aufgabe, über Teilhabe nachzudenken. Etwa im Leitungsteam. Wir sind alle weiss, unser Publikum ist weitgehend weiss. Spiegelt das wirklich eine gesellschaftliche Realität wider? Sicherlich nicht die Realität unserer Künstler.

Was könnte sich konkret ändern?

Es ist ein grosses Thema, wir fangen bescheiden an. Wir haben einen Beirat aus Leuten mit migrantischem Hintergrund und unterschiedlichem Aufenthaltsstatus aufgebaut. Das ermöglicht eine neue Perspektive.

Oder wir haben dieses Jahr etwa angefangen Solitickets zu initiieren – jedes Mal, wenn Sie eine Karte kaufen, wird Ihnen nahegelegt, noch für jemanden eine Karte zu kaufen, der sie sich sonst nicht leisten könnte. Bei der Fluggesellschaft muss man Versicherung oder Mietwagen wegklicken, bei uns die Solidarität.

Donnerstagabend beginnt die erste Ausgabe des Theaterspektakels unter Ihrer künstlerischen Leitung. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Ich freue mich am meisten auf die Begegnung mit den Künstlern. Viele kenne ich gut, anderen begegne ich zum ersten Mal. Das macht ein Festival aus, auch für unser Publikum: Die direkte Begegnung mit anderen Geschichten – manchmal von Orten, von denen man noch nie gehört hat.

Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.

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