Am Zürcher Hauptbahnhof startet das Journalistenpaar des Freitagsmagazins mit der Strassenumfrage. Die Neujahrswünsche der Passanten beinhalten: Politisches wie «Herr Kennedy möge seine Versprechen einhalten». Die Oststaaten mögen «auch zu ihrem Recht kommen». Das Frauenstimmrecht solle endlich Wirklichkeit werden. Eine Frau wünscht sich Arbeit für ihren Mann. Ein anderer wünscht sich, das TV möge auch am Dienstag senden. Letzteres wird erhört.
Dann wird's den beiden Journalisten zu kalt, sie verziehen sich ins Landesmuseum und fragen das historische Personal: Tell, was er mit dem zweiten Pfeil will? Winkelried sagt nochmal seine letzten Worte. Und die Appenzeller verraten, warum sie so klein sind.
«Marina, Marina, Marina» und Kalter Krieg
1960. Baby-Boom: Da bringt Frau Burkhalter ihren Didier zur Welt, bei Eichers heisst er Stephan und bei Sommarugas heisst sie Simonetta. Im Radio trällert Rocco Granata «Marina, Marina, Marina». Italien ist des Schweizers liebstes Urlaubsland, s' Mami lernt «Pasta» und der Vater «Basta». Und sonst, kulturell? Anita Ekberg steht 1960 im Trevi Brunnen, in Bates Motel steht die gefährlichste Dusche der Kinogeschichte, und Ben Hur kriegt Oscars.
Fondue oder Braten
Grosswetterlage, politisch: Kalter Krieg. Bis zur Kuba-Krise ist es nicht mehr weit. Da stehen Kennedy und Chruschtschow, und mit ihnen die ganze Welt, für 13 Tage am atomaren Abgrund. Davon weiss man 1960 noch nichts, aber es liegt in der Luft.
Alle Jahre wieder folgt der Dezember auch 1960 der immergleichen Dramaturgie: Hast und Hetze vor Weihnachten. Davon berichtet das Freitagsmagazin ( am 23.12.1960 ). Alle Jahre wieder gibt's Fondue oder Braten, Hauptsache viel. Das Freitagsmagazin zeigt die Völlerei, unnachahmlich ( Freitagsmagazin, 29.12.1960 )! Nach Weihnachten wird das Unsäglichste umgetauscht ( Freitagsmagazin 30.12.1964 ). Dann kommt die Zeit der Besinnung.
Sendungen zum Thema
Die Zeit zwischen den Jahren
Ja, der Sinn! Wo war der das ganze Jahr über? Keine Zeit zur «Reflexion», würde man heute sagen. Das hiess früher «Musse». Wieder ein Jahr herum, die Zeit rast. Dann kommt die Zeit zwischen den Jahren. Das hat nichts mit dem Jahreswechsel zu tun sondern damit, dass sich der weltliche Kalender jahrhundertelang nicht einigen kann, wann er denn beginnen will und der christliche braucht ebenso lange, bis er für Christi Geburt ein Datum findet – das schwankt zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar. Zwischen den Jahren meint genau diese Zeit, wo jahrhundertelang nicht klar ist: ist man noch im alten oder schon im neuen Jahr?
Arbeit bringt Unglück
Das ist die Zeit der Rauhnächte, eine sehr spezielle Zeit. Der Aberglaube blüht: Da bringt arbeiten über Jahrhunderte Unglück, sogar das Gesinde hat frei. Die Ställe werden mit Weihrauch ausgeräuchert und in manch ländlicher Gegend verlässt niemand mehr die geheizte Stube.
Dämonen gehen um. Albträume drücken. Die Stille verschneiter sternenklarer Nächte schreit bis in den Schlaf, wenn man nichts hört, ausser dem lautlosen Rieseln und dem eigenen Pulsschlag. Da steht die Zeit still, die Erde dreht langsamer, Zwischen-Zeit.
Und heute?
In diesen Nächten der Familienfeste sind die Einsamen doppelt einsam – auch heute: Zu keinem anderen Zeitraum im Jahr, liefern sich so viele selber in Krankenhäuser und Psychiatrien ein. Etwas haftet diesen zwei irrlichternden Wochen an – bis heute, die vor langer langer Zeit aus den Kalendern gefallen und bis heute nicht ganz zurückgekehrt sind.
Die beinharten Fragen kommen: Was ist aus den Träumen geworden, den grossen, was aus den kleinen Wünschen, den guten Vorsätzen? Was macht eigentlich Sinn? Und: Ist Einsamkeit nicht die grösste Pest, die je erfunden wurde? Während man noch zurück schaut, kommt schon das nächste Silvester.
Was wünschen Sie sich für's neue Jahr? Für sich selbst – und was wünschen Sie anderen? (Es wäre nett, wenn wir hier für einmal die Namen der grossen Parteien auslassen könnten!)
Bis nächstes Jahr, herzlich
Ihr Archivar