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Der Archivar Georg Büchner – schneller als der Tod erlaubt

Er hätte den 200. Geburtstag. Büchner ist ein Klassiker und wurde doch nie «Klassik», nie alt: forever young, der James Dean des Vormärz. Mit 23 kam der Sensenmann, da war er mit dem Meisten durch. Wie geht das, dass Generationen ihn immer wieder neu entdecken?

Abertausende Schauspielschüler, beseelt, die Welt zu verbessern in der moralischen Anstalt Theater, haben seinen Prinzen «Leonce» vorgesprochen und tun es wahrscheinlich gerade in diesem Moment. Wie schaffte dieser Büchner es, das Lebensgefühl von Generationen so präzise zu treffen, verpackt im schreienden Überdruss eines Aristokraten, der keine Lust auf gar nichts hat? Schon gar nicht auf König sein. Keine Lust auf Hermelin, dann lieber die Revolte im saturierten System. Büchner stellt die Fragen nach dem Sinn. Das findet in jeder Generation aufs Neue statt und scheinbar mühelos seine Resonanz. Büchner ist der Dauerbrenner jedweder Generation Y.

Steckbrief von Georg Büchner
Legende: Damals steckbrieflich gesucht – heute einer der grössten deutschen Dramatiker. WIKIMEDIA

Jeder Stückfigur ihre eigene Sprache

Er war wohl der Empathischste unter den deutschen Dramatikern. Er hat Figuren erfunden, die ihresgleichen suchen, keine Papiertiger sondern brüchige Figuren, die das Drama in sich tragen. Jede für sich.

Er hat ihnen allen eine eigene Sprache gegeben, er schrieb sie seinen Figuren auf Leib und meist auch Seele. Jeder einzelnen Figur – und kein Stück gleicht dem anderen. Zwischen «Woyzeck» und «Danton» liegen stilistisch Welten: Man wundert sich, dass sie von ein und demselben Autoren sind. Büchner der variable Sprachartist.

Büchner war ein radikaler Reduzierer, er brauchte ein paar wenige Zeilen und eine Biographie war zu Ende erzählt. Er hat Frauenfiguren erfunden von einer Verlorenheit, dass es einen friert. Seine Rosetta in «Leonce und Lena» hat einen einzigen Auftritt. Ein Auftritt – eine Welt. Sie tanzt, wird nicht geliebt und verglüht.

Büchnersätze – einfach zeitlos

Buchhinweis

Für alle, die sich von Sätzen ernähren, ist Büchner eine Grundversorgung. 170 Jahre nach seinem Tod funktionieren sie noch immer. Ein Satz von «Woyzeck», der da heisst: «Wenn unsereins in den Himmel käme, ich glaub, wir müssten donnern helfen.» – der erfasst so vieles, was sich am chancenlosen Rand von Gesellschaft abspielt. Vielleicht ein Grund, weshalb man in Theaterinszenierungen die Sprache in Büchners Stücken nicht aktualisieren muss. Die Sätze gelten (noch) immer.

Es ist bei vielen Büchnersätzen deren scheinbare Einfachheit, die haarscharf an der Sentenz vorbei schrammt, die sie überdauern lässt. Wenn Valerio zu Leonce sagt, während sie über den Sinn und das Leben sprechen: «Es ist zu viel für einen allein.», dann mag man das für platt und einfach halten. In manch schwachen Momenten eines jeden, ist viel mehr nicht zu sagen.

Sendungen zum Büchner-Jubiläum

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Und wenn man einen «Bürger» in «Dantons Tod» auf der Bühne sagen hört: «Wir sind das Volk», dann hat man den Satz auch schon mal gehört und weiss endlich, woher er kommt – von diesem bleichen Jüngling aus relativ gutem Haus.

Büchner, das Leben und die Macht

Wieso wusste der mit Anfang 20 so viel vom Leben? Wieso konnte der sich in eine Mutter eines unehelichen Kindes versetzen, in Marie in «Woyzeck», und jeder Satz stimmt: ihre Liebe zum Kind, die Verzweiflung über die ausweglose Situation als stigmatisierte Gottlose am Ende der Strasse und Karriereleiter, die einen Moment zu lang an ein kleines Glück geglaubt hatte.

Wieso wusste Büchner so viel über das Innenleben von Macht, nachzulesen in «Dantons Tod»? Die grundsätzlichen Mechanismen hat er beschrieben und sie wiederholen sich genau dann, wenn Revolutionen aus dem visionär-utopischen Kampf herauskommen und ins realpolitische Stocken geraten, wenn die Posten verteilt werden und es um das geht, was eigentlich abgeschafft werden sollte – nämlich Macht.

Verlorene aller Länder

Büchners Sympathie galt den Verlorenen aller Länder. Ob er ein Linker war, ist schwer zu sagen. Er war einfach schneller als Karl Marx mit seinem «Manifest». Als das kam, war sein aufwiegelndes Pamphlet «Der Hessische Landbote» längst veröffentlicht und Büchner Staatsfeind Nummer 1. Mitstreiter verbluteten unter nicht geklärten Umständen im Kerker und er setzte sich nach Zürich ab, um Probevorlesungen in Medizin zu halten.

Auch das ist Büchner: die Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Extreme. Daheim ein Terrorist – mitten in Zürich angehender Ordinarius. Bei sich zuhause in Hessen wurden seine Kampfslogans Allgemeingut: «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» Strassentaugliche Parolen – Gassenhauer für den Klassenkampf.

Und währenddessen sezierte er, legte Proben an, infizierte sich höchstwahrscheinlich genau bei dieser Tätigkeit und starb an Typhus. Mit 23, in Zürich an der Spiegelgasse 12.

Bis ins Heute

Georg-Büchner-Preis

Büchner schreibt sich fort bis heute. Die Inszenierungen seiner Stücke sind das Eine. Das Andere ist, dass er immer wieder diejenigen herausfordert, die den Georg-Büchner-Preis entgegen nehmen. Die zitieren, messen sich an ihm, machen im Abstand der Jahre klar, wie sie Büchner lesen: Der Dichter Paul Celan zitierte in seiner Dankesrede Büchners «Lenz»: «Nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte.» Celan erwidert: «Wer auf dem Kopf gehen kann, der hat den Himmel als Abgrund unter sich.»

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