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Diversität in den Medien «Die Medien haben ein Manko an Menschen mit Migrationsgeschichte»

Die Medienunternehmen sollen genauso divers besetzt sein wie die Bevölkerung selbst, fordert Sara Winter Sayilir. Sie ist Co-Präsidentin von «Neue Schweizer Medienmacher*innen»: ein Verein, der sich für eine reflektierte, antirassistische Berichterstattung und für mehr Medienschaffende mit Migrationsgeschichte einsetzt.

Für Sara Winter Sayilir ist klar: Bezüglich «Menschen mit Migrationsgeschichte» habe die Schweizer Medienlandschaft ein grosses Manko – besonders auch in der Führungsetage.

Sara Winter Sayilir

Journalistin

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Sara Winter Sayilir hat Turkologie, Islamwissenschaft und Politik in Berlin und Baku studiert. Den Einstieg in den Journalismus fand sie beim Orientmagazin zenith, wo sie heute Mitglied des redaktionellen Beirates ist. Seit ihrem Umzug in die Schweiz 2009 arbeitete sie für die WOZ, als Korrespondentin für eurotopics und als Freie.

Sie ist Co-Leiterin des Surprise Strassenmagazins und Co-Präsidentin des Vereins «Neue Schweizer Medienmacher*innen».

SRF: Auf Ihrer Website schreiben Sie: «Im gängigen Narrativ sind Migrant*innen entweder hilflose Opfer, Aggressoren oder schmarotzende Bittsteller.» Inwiefern schreiben Medien rassistische Denkmuster fort?

Sara Winter Sayilir: Rassismus ist eine Ideologie, die von weissen Europäern entwickelt und verbreitet wurde und bis heute aufgrund kollektiver Zuschreibungen die Unterdrückung anderer Menschen zur Folge hat. Diese Ideologie durchzieht alle unsere Lebensbereiche. Niemand ist frei davon.

Im Umkehrschluss darf man nicht den Einzelnen dafür verantwortlich machen – es sei denn, er oder sie verbreitet Rassismus in vollem Bewusstsein. Die meisten von uns sind keine politisch motivierten Rassisten. Aber wir fallen zurück in rassistische Reflexe, die wir gelernt haben. Jetzt gilt es, diese zu ent-lernen.

Laptop-Bildschirm, auf dem ein Artikel mit der Überschrift «Gewaltbereite Algerier erschweren Asylbetreuung» steht.
Legende: Der Verein NCHM* kritisiert undifferenzierte Berichterstattung in Schweizer Medien – etwa diesen Online-Artikel eines Schweizer Medienportals, der einen Zusammenhang von Islam und Gewalt suggeriert: Der Titel «gewaltbereite Algerier» wird kombiniert mit einem Archivbild von kopftuchtragenden Frauen. Getty Images / Screenshot: nau.ch / Keystone / Bildmontage SRF

Was ist Ihrer Meinung nach das grösste Hindernis für eine diverse Berichterstattung; wo muss man ansetzen?

Aus demokratischer Sicht sollte die Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Medien etwa so aussehen wie in der Bevölkerung. Wenn wir davon ausgehen, dass die Medien die vierte Gewalt sind, sozusagen der demokratische Check unserer Politik und unseres Umgangs miteinander, müssten alle Bevölkerungsgruppen in den Medien so repräsentiert sein, wie sie auch in der Bevölkerung vorkommen.

In puncto «Menschen mit Migrationsgeschichte» haben wir ein eklatantes Manko in den Medien – besonders in der Führungsetage.

Reibt sich die eigene Betroffenheit von Journalistinnen und Journalisten nicht mit der angestrebten Objektivität der Medien?

Die Frage nach objektivem Journalismus sollte man sich als Gesamtmedium stellen. Viele Menschen mit vielen Hintergründen tragen zu einem Medienhaus bei, das möglichst objektiv berichtet. Natürlich sollte man die eigene Position in der Berichterstattung immer reflektieren.

Aber es ist doch erstaunlich, dass man sich die Frage nach der Befangenheit nur bei Menschen mit Migrationsgeschichte, bei Frauen oder anderen Minderheiten stellt – nicht aber bei weissen Männern. Das zeigt doch einmal mehr, wie sehr wir diese fälschlicherweise als Norm begreifen.

Die Frage ist: Wann ist Betroffenheit im Weg, wann ist es etwas Positives? Wenn eine Journalistin emotional befangen ist und das nicht herausfiltern kann, dann wird es problematisch. Hier muss auch die Redaktion eingreifen.

Auch Menschen mit Migrationsgeschichte haben rassistische Konstrukte im Kopf. Sie sind aber anders betroffen.

Über den Austausch mit anderen können wir die blinden Flecken der Einzelnen ausgleichen. Nicht umsonst nennen manche es auch einen Migrationsvorteil, und den sollten wir uns als Medien zunutze machen.

Welche Probleme löst eine diverse Redaktion? Kann sie eine Gesellschaft tatsächlich verständiger machen?

Eine divers besetzte Redaktion löst vor allem das Problem der demokratischen Repräsentierung. Sie bringt auch vielfältigere Perspektiven auf unsere Lebensrealität mit.

Möglichst vielen Menschen möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen, baut Hürden ab.

Sie löst aber nicht die Forderung nach rassismusfreier Berichterstattung: Auch Menschen mit Migrationsgeschichte haben rassistische Konstrukte im Kopf. Sie sind aber anders betroffen, machen dadurch andere Erfahrungen und können diese im besten Fall kritisch einbringen.

Was den Einfluss der Medien betrifft: Menschen mit diversen Hintergründen können andere Teile der Bevölkerung als Zuhörer und Zuschauerinnen sowie als Leserinnen gewinnen. Im Idealfall alle. Möglichst vielen Menschen möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen baut Hürden ab und ist aus demokratischen Gründen wünschenswert.

In einem Blog-Beitrag auf Ihrer Vereinswebsite wird ausserdem bemängelt, Redaktionen seien nicht nur zu weiss, sondern auch zu männlich und zu akademisch. Inwiefern sind all diese Repräsentationsansprüche überhaupt umsetzbar?

Ein wichtiger Teil sind Förderprogramme für Menschen, die ökonomisch benachteiligt sind. Wenn etwa die Eltern von Menschen mit Migrationsgeschichte nicht akademisch sind und beispielsweise kein Geld haben für eine journalistische Ausbildung, bieten sich ihnen weniger Möglichkeiten. Chancengerechtigkeit in der Schulbildung ist hier bestimmt der grösste Hebel – da könnte noch viel passieren.

Vor allem die Frage, ob die Medienwelt zu akademisch ist, finde ich schwierig zu lösen. Ohne Förderung öffnen sich Menschen meist nicht mehr, als dass es ihr Umfeld ihnen mitgegeben hat. Das macht es schwieriger, eine Karriere jenseits ihrer sozialen Herkunft aufzubauen.

Es ist aber wichtig, als Medienhaus alle gesellschaftlichen Gruppen im Blick zu haben und zum Mitmachen zu motivieren. De facto werden aber nicht alle gleichermassen im Journalismus arbeiten wollen und können, so wie sich auch nicht alle gleichermassen für Politik interessieren. Dass aber jemand gern mitmachen möchte, aber aufgrund rassistischer Strukturen nicht eingestellt wird, das darf nicht mehr passieren.

Die Neuen Schweizer Medienmacher*innen

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Die Neuen Schweizer Medienmacher*innen setzen sich für eine reflektierte, antirassistische Berichterstattung und für mehr Medienschaffende mit Migrationsgeschichte ein.

Unter anderem fördert der Verein die Vernetzung und den Austausch von Medienschaffenden mit Migrationsgeschichte und beleuchtet den aktuellen Mediendiskurs in Blogbeiträgen. Weiter berät der Verein Medienhäuser bei der Ausarbeitung nachhaltiger Diversity-Strategien.

Das deutsche Pendant, der Verein der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, stellt für die Medien ein Begriffs-Glossar mit Formulierungshilfen zur Verfügung.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 17.12.2021, 9:03 Uhr. ; 

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