Eine Serie mit Bauernhof: Die erfolgreiche Filmemacherin Andrea Štaka wagt sich mit der zweiten Staffel «Neumatt» auf neues Terrain. Wie war das für die Städterin? Ein Gespräch über den Spagat zwischen zwei Welten, den Zauber der Agglomeration und Teamarbeit.
SRF: Im Zentrum Ihrer Spielfilme stehen oft Figuren mit mehr als bloss einer kulturellen Identität. Trifft das auch auf die «Neumatt»-Hauptfigur Michi Wyss zu, der sein glamouröses Unternehmerleben in Hamburg aufgibt, um als Bauer in der Schweiz zu geschäften?
Andrea Štaka: Als ich anfing, Filme zu drehen, ging man mehrheitlich davon aus, dass man nur einer Kultur angehört. Heute ist es zum Glück viel natürlicher und selbstverständlicher geworden, sich zwischen Welten, Kulturen und Identitäten zu bewegen.
Michi reist zwischen dem Neumatt-Hof und der Stadt hin und her, und er fühlt sich zwischen familiärer Pflicht und seinem Unabhängigkeitsbestreben zerrissen. Das ist emotional nicht einfach, aber ein modernes Phänomen: Viele von uns bewegen sich zwischen verschiedenen Welten.
Meine Filme befassen sich oft mit Protagonistinnen aus der Stadt und Wurzeln im Balkan. Ich habe aber Verwandte auf dem Bauernhof. Meine Vorfahren waren Bauern in Kroatien. Als Städterin mag mir der Alltag auf einem Hof fremd sein. Aber Anpacken kann ich sehr gut, wenn es mir gezeigt wird.
Gab es Klischees oder Vorurteile über «das Land», die Sie bewusst im Auge behalten mussten, als es an die Dreharbeiten ging?
Ich probiere immer, ohne Vorurteile mit meinen Figuren zu kommunizieren. Die kurze Antwort ist also: nein, nicht wirklich.
Spannend finde ich die Frage der Erwartungen und Verantwortung innerhalb einer Familie. Muss ich als Kind etwas weiterführen, das meine Eltern angefangen haben oder nicht? Ein solches Dilemma ist zutiefst menschlich. Da ist es egal, wo man aufgewachsen ist.
Können Sie sich demzufolge ebenso gut in Michi Wyss mit seinem Consulting-Hintergrund hineinversetzen, wie zum Beispiel in die Protagonistinnen aus « Das Fräulein » oder « Mare »?
Michis Hin-und Hergerissen sein ist mir nah, die Corporate-Welt weniger – wobei das die Kantine in «Das Fräulein» auch nicht ist. Die Milieus haben wir recherchiert, uns mit Consultants unterhalten. Genauso haben wir für die Szenen auf dem Hof Experten aus der Landwirtschaft konsultiert und auf dem Filmset immer dabei gehabt. Ich habe viel gelernt.
Ich probiere mich jeweils nicht mittels solcher Äusserlichkeiten, in meine Figuren hineinzuversetzen, sondern über ihre innere Welt. Da stehen andere Fragen im Mittelpunkt: Wo gehöre ich hin? Wer bin ich? Wovor habe ich Angst? Was ist meine grösste Sehnsucht? Aber auch Fragen wie: Was isst die Figur gerne, sind relevant.
Der Bauernstand fasziniert Schweizer Filme- und Fernsehmachende seit jeher. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Berge sind ein Sehnsuchtsort. Schön und gefährlich. Und die Kamera liebt Berge! Bei «Neumatt» befindet sich der Hof nicht in einem abgelegenen Tal, sondern in der Agglomeration.
Ein Grossteil der Menschen in der Schweiz lebt in der Agglomeration, in einer Mischung aus Landwirtschaftsbetrieben und der Infrastruktur einer Stadt. Wir wollten mit «Neumatt» bewusst keine Idylle inszenieren, sondern eine Realität erzählen, in der viele Schweizerinnen leben.
Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass in Filmen und Serien die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft gespiegelt wird.
Zu Beginn war der Neumatt-Hof unter der Führung des Vaters ein traditioneller Bauernhof, in der zweiten Staffel übernehmen seine Kinder den Betrieb. Während Lorenz und seine Freundin Jessie den Hof bewirtschaften, arbeitet Michi in der Stadt, und Sarah sucht einen neuen Job in der Nähe. Diese Mischung ist sehr zeitgemäss.
Und das ist interessant an dieser Serie: Sie spielt nicht mit einer Sehnsucht oder Klischees, die oft mit dem Land in Verbindung gebracht werden, sondern zeigt einen modernen Bauernhof, der sich im Umbruch befindet.
War dieses Streben nach einer realistischen, für das Jahr 2023 zeitgemässen, Darstellung eines Bauernbetriebs etwas, was Sie besonders an «Neumatt» gereizt hat?
Auf jeden Fall. Der Stoff bringt eine Aktualität mit sich und ist lebensnah. Wir brauchen in der Schweiz authentische Geschichten. Gerade im Fernsehen soll oder muss diese Auseinandersetzung mit der Realität stattfinden, die Frage gestellt werden: «Wer sind wir heute als Schweiz?» Wie divers, also unterschiedlich, sind wir heute?
Ich als Mensch mit Wurzeln in Kroatien und Bosnien bin auch Schweizerin, genauso wie all die Figuren in der Serie. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass in Filmen und Serien die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft gespiegelt wird.
Zudem hat mich das Format, bei einer Serie Regie zu führen, interessiert. In dem Moment, wo ich als Regisseurin dazustosse, steht schon vieles. Die Finanzierung ist gesichert, die Drehbücher sind fertig, die Schauspielerinnen kennen ihre Charaktere bereits gut. Das ist ein Luxus für mich, da ich beim eigenen Kinofilm immer von Null beginnen muss.
Sie sind es gewohnt, an Ihren eigenen Geschichten zu arbeiten. Gab es also auch neue Herausforderungen für Sie in der neuen Rolle als Regisseurin einer Serie?
Klar, ich musste rascher inszenieren, mehr Szenen drehen pro Tag, aber das erwies sich einfacher als ich dachte. Ich hatte auch super Angst vor dem Tempo und habe mich sehr gut vorbereitet.
Wenn ich Regie führe, mache ich das mit viel Leidenschaft und Emotionen. Die Schauspielerinnen und das Visuelle stehen im Zentrum. Das heisst: Ich habe auch klare Ideen, von denen ich überzeugt bin, die ich nicht so schnell aufgeben will. Meine Babys, sozusagen.
Das ist eigentlich beim Spielfilm nicht anders. Ich bin nie allein, arbeite immer mit einem grossen Team. Aber die Handschrift kann ich mit meinen engsten kreativen Mitarbeiterinnen ganz allein bestimmen.
Hier passierte das in Absprache mit der Showrunnerin, der Produktion und dem anderen Regie-und-Kamera-Team. Diese Erfahrung war bereichernd für mich.
Das Gespräch führte Dino Pozzi.