Eine Frau erwacht. Sie schlägt die Bettdecke zurück und reckt sich, Rauchkringel steigen zwischen ihren Beinen auf.
Dort sitzt ein kleiner Mann im blauen Anzug und raucht. Die Frau lässt den Zwerg lustvoll auf ihrem nackten Körper herumturnen, bevor sie ihn in einem Glas Wasser auflöst wie eine Brausetablette. Gesundheit!
Süsse Kurzfilm-Früchte
«À la vôtre» heisst der Animationsfilm von Monique Renault aus dem Jahr 1973. Gezeigt wird er im Kurzfilmprogamm «Doucement sexy» am diesjährigen Animationsfestival Fantoche in Baden.
Das freizügige Programm mit der Altersfreigabe 16+ versammelt die «süssesten Kurzfilm-Früchte der letzten dreissig Jahre». Zeichnet sich im Vergleich von neuen und älteren Werken eine Entwicklung ab?
Noch heute gewagt
«Den erotischen Animationsfilm als eigene Schule zu verstehen, halte ich für verfehlt», erklärt Fantoche-Leiterin Annette Schindler. Deshalb könne man auch nicht von einem «Fortschritt» sprechen, gewisse Themen tauchten zyklisch oder in Wellenbewegungen immer wieder auf.
«Ich sehe Filmemacher als individuelle Autoren, die auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren.» Gerade frühe Beispiele von Kurzfilmen für eine selbstbestimmte Sexualität wie «À la vôtre» seien auch heute noch gewagt.
Suggestiv, aber auch direkt
Für eine sinnliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität biete sich der handgemachte Animationsfilm geradezu an: «Er hat von sich aus etwas Taktiles», erklärt Schindler. «Man muss Feuer fangen, um sich dieser Kunstform hinzugeben.»
Die Stärke des Animationsfilms liegt laut Schindler darin, dass er keine Geschlechtsteile abbilden muss, sondern suggestiv bleiben kann: «Die Fantasie der Filmemacherinnen und Filmemacher ist symbolischer, aber auch direkter.»
Der weibliche Blick
Dass am Festival fast ausschliesslich erotische Filme von Frauen gezeigt würden, sei keine Absicht, sagt Schindler. Vielmehr liege es daran, dass die für das Programm verantwortliche Kuratorin Eliška Děcká den weiblichen Blick auf die Sexualität interessanter gefunden habe.
«Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Frauen dem Thema gegenüber eine offenere Haltung einnehmen und eine grössere Bandbreite an Ausdrucksformen zulassen.»
Der Schwerpunkt sei über mehrere Jahre gereift, trotzdem passe er gut in unsere Zeit, die von Sexismus- und Gleischstellungsdebatten geprägt werde, sagt Schindler. «Das Interesse an Sexualität wächst immer dann, wenn Frauen gesellschaftlich präsenter sind.» Das sei schon zur Zeit des Barocks so gewesen, als sich der Umgang mit Sexualität änderte, und später während den 1960er-Jahren.
Ein Beitrag zur Gleichstellung
Dass die Debatten auch heute nötig seien, zeige schon der ernüchternde Blick auf die Statistik: «Frauen werden in ihrem Filmschaffen noch immer weniger gefördert als Männer, ihre Budgets sind bis zu 40 Prozent kleiner.»
«Die Stimmen von Frauen werden nicht einfach so laut, sondern sie müssen erst hörbar gemacht werden», ist Schindler überzeugt. «Demokratie muss ja auch immer wieder aufs Neue hergestellt werden.» In diesem Sinn leiste Fantoche mit «Doucement sexy» einen Beitrag zu diesem Prozess.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 4.9.2018, 07:20 Uhr