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Cancel Culture und das ZFF Winnetou: Wenn sich Erwachsene über einen Kinderfilm streiten

Das Zurich Film Festival zeigte kürzlich den Kinderfilm «Der junge Häuptling Winnetou». Was das mit der Debatte um kulturelle Aneignung und «Cancel Culture» zu tun hat.

Das Kino Arena 3 in der Zürcher Sihlcity war gestern um 16 Uhr gut gefüllt. Schätzungsweise zwei- bis dreihundert Kinder, begleitet von Müttern, aber auch ein paar vereinzelten Vätern, zappelten ungeduldig und erwartungsfroh auf den Sitzen.

Dass der Film, den sie gleich sehen würden, in den letzten Monaten eine Rolle in einer hochgekochten kulturpolitischen Debatte spielte, das dürfte den Kids ziemlich egal gewesen sein.

Fotografie der Kinderdarsteller im Film «Junger Häuptling Winnetou»
Legende: Deutsche Wildwest-Kids: Mika Ullritz, Milo Haaf und Lola Linnéa Padotzke spielen die Hauptrollen im neuen Kinderfilm. © Warner Bros. Ent.

Aber warum waren auch einzelne Journalisten im Saal? Weil ZFF-Direktor Christian Jungen im Vorfeld verkündet hatte: «Indem wir den ‹Winnetou›-Film zeigen, wollen wir der Cancel Culture die Stirn bieten».

Kulturkampf um den Häuptling

Kurze Rekapitulation: Im August zog der Ravensburger Verlag ein Kinderbuch aus dem Programm, das zu eben diesem Kinderfilm «Der junge Häuptling Winnetou» geplant war. Freiwillig, weil sich im Verlag die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass Karl Mays Bild der «Indianer» aus dem 19. Jahrhundert stammt und nicht mehr ganz zeitgemäss ist.

Das führte zu einem von der «Bild»-Zeitung inszenierten Kulturkampf um die Winnetou-Filme überhaupt. Dabei war nie die Rede davon gewesen, den neuen Film zurückzuziehen.

Anders als von «Bild» behauptet, hat auch die ARD die alten Winnetou-Filme nicht zu dem Zeitpunkt aus dem Programm genommen. Dort wurden sie, wie übrigens auch beim SRF, schon lange nicht mehr gezeigt, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre. Unter anderem, weil die Rechte sowieso beim ZDF lagen.

ZFF macht es sich einfach

Nun hat also ZFF-Direktor Christian Jungen die Vorführung von «Der junge Häuptling Winnetou» am «ZFF for Kids» zum kulturpolitischen Statement erklärt: «Das ZFF ist ein Ort der Meinungs- und Kunstfreiheit sowie der Debatte».

Glücklicherweise geriet die Kindervorstellung dann aber doch nicht zu einer Schulstunde. Das hätte die Erwartungsfreude der anwesenden Kids auch arg strapaziert.

Aber ein wenig zu einfach hat es sich das ZFF doch gemacht. Der Moderator, der den Film ankündigte, erklärte den Kindern lediglich, Karl May habe sich Winnetou und die anderen indigenen Figuren vor rund 130 Jahren einfach ausgedacht, weil man damals nicht so leicht nach Amerika reisen konnte wie heute.

Verdrängung statt Aufarbeitung

Die Kinder bekamen einen vergnüglichen, solide gemachten, kindgerechten Abenteuerfilm zu sehen, der ziemlich genau so auch schon in den 1970er Jahren hätte gemacht werden können. Die Bösen sind dämlich und skurril, es gibt keine Toten, dafür ab und zu einen Kalauer, etwa wenn Winnetous Schwester Nscho-Tschi sich vorstellt und der weisse Junge verdutzt mit «Gesundheit!» antwortet.

Weisse europäische Schauspieler spielen «Native Americans», so wie seinerzeit der Franzose Pierre Brice den Winnetou. So etwas könnte sich in den USA kein Filmproduzent erlauben.

Zum Glück wirken aber gerade die Kinderdarsteller tatsächlich wie Kinder, die «Indianerlis» spielen. Debatte geht anders. Aber die Kunstfreiheit, die haben die jubelnden Kinder sichtlich genossen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 29.09.2022, 11:29 Uhr.

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