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Doku «Gefangen im Netz» So schnell werden Zwölfjährige online zu Opfern sexueller Gewalt

Erwachsene chatten mit Kindern, um diese zu missbrauchen. Die Doku «Gefangen im Netz» belegt, was viele Eltern fürchten.

«Weisst du, ich würde dich so gerne mal persönlich treffen. Ich wäre sehr lieb zu dir. Du brauchst keine Angst haben, meine Süsse.» Ein Mann zwischen 50 und 60 versucht, eine Zwölfjährige zu einem Treffen ausserhalb des Internets zu animieren.

Die gute Nachricht zuerst: Der Mann sitzt inzwischen hinter Gittern. Er hat sich das falsche Mädchen ausgesucht. Weil die vermeintlich Zwölfjährige gar nicht minderjährig war. Tereza ist eine von drei tschechischen Schauspielerinnen, die für die investigative Doku «Gefangen im Netz» gecastet wurden.

«Gefangen im Netz» auf Play SRF sehen

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Der Film «Gefangen im Netz» ist auf Play SRF in zwei Versionen verfügbar: Ab 12 Jahren und ab 16 Jahren . Beide Versionen sind bis am 8. Juni 2022 online.

Auch der «Club» befasst sich mit der Thematik, am Dienstag, 10. Mai, 22.25 Uhr, auf SRF 1. Ab 22 Uhr startet online der «Club»-Chat, eine Expertenrunde beantwortet die Fragen des Publikums.

Dieser Artikel wurde das erste Mal im Juni 2021, zum Kinostart des Dokfilms, publiziert.

Es geht schockierend rasch zur Sache

Filmemacherin Barbora Chalupová und Co-Regisseur Vít Klusák suchten gezielt nach erwachsenen Frauen, die sehr jung aussehen. Für jede Schauspielerin baute die Film-Crew daraufhin im Studio ein passendes Kinderzimmer – als täuschend echt wirkende Kulisse für ihren 10-tägigen Trip ins Internet.

Ein Mädchen sitzt im Kinderzimmer vor der Webcam.
Legende: Der Schein trügt: Dies ist keine 12-Jährige in ihrem Kinderzimmer, sondern eine erwachsene Schauspielerin auf dem Set. Hypermarket Film / Milan Jaros

Fünf Minuten, nachdem Tereza das erste Profilbild auf einer tschechischen Chat-Plattform hochgeladen hatte, waren bereits 16 Kontaktanfragen eigegangen. Fast ausnahmslos von erwachsenen Männern mit eindeutigen Absichten.

Der erste Video-Call endete daher bereits nach einer Minute – wenige Sekunden, nachdem der aufdringliche Mann seine Erektion präsentiert hatte. «Ich habe gedacht, wir wollen uns unterhalten», entgegnete Tereza ihrem Gegenüber, der daraufhin das Gespräch abrupt abbrach. Es sollte nicht die einzige sexuelle Belästigung bleiben. In den allermeisten Anrufen kam es zu ungewollten Grenzüberschreitungen.

Cybergrooming in der Schweiz

Kinder werden im Netz immer öfter sexuell belästigt, auch in der Schweiz. Um das Phänomen mit einem Wort beschreiben zu können, benutzen Fachleute oft den englischen Begriff «Cybergrooming». In seiner ganzen Vielschichtigkeit erfassbar wird das Problem damit aber nicht wirklich.

Drei Mädchen sitzen auf einem Kinderbett mit Teddy.
Legende: Von den 23 zum Casting eingeladenen Schauspielerinnen berichteten 19 von eigenen traumatischen Netz-Erfahrungen im Kindesalter. Hypermarket Film / Milan Jaros

So tauchen in der Schweizer Kriminalstatistik des Jahres 2020 nur 130 protokollierte Fälle von sogenanntem Cybergrooming auf. Ein tiefer Wert, angesichts der hohen Dunkelziffer, von der die meisten Experten ausgehen. Um zu verhindern, dass sich Cybergroomer hierzulande ausbreiten, setzt die Schweizer Polizei primär auf Prävention.

«Wir sensibilisieren unsere Kinder, indem wir in die Schulen gehen und landesweit Kampagnen durchführen», erklärt Spezialfahnder Cédric Meyrat von der Kantonspolizei Bern auf Nachfrage. «Wir verfügen aber auch über Spezialisten, die sich im Netz als Kinder ausgeben und durch Treffen mit der Täterschaft zur Aufklärung von Straftaten beitragen.»

Umstrittene Vorgehensweise

Genau zu solchen gefährlichen Aufeinandertreffen ausserhalb des Internets kommt es auch in der tschechischen Dokumentation. Dass diese nicht von der Polizei, sondern der Filmcrew eingefädelt wurden, findet Meyrat höchst problematisch:

«In der Schweiz muss die Aufklärung solcher Straftaten ausschliesslich der Polizei vorbehalten bleiben. Schliesslich handelt es sich um eine Arbeit in einem juristisch heiklen Bereich. Denn niemand – nicht einmal die Polizei – darf zu Straftaten anstiften.»

Das tschechische Regie-Duo bei der Arbeit vor ihren Laptops.
Legende: Vít Klusák und Barbora Chalupová landeten mit «Gefangen im Netz» einen Publikumshit, den allein in Tschechien über 500'000 Menschen sahen. Hypermarket Film / Milan Jaros

Die tschechische Polizei zeigte diesbezüglich deutlich weniger Skrupel: Sie nutzte das gedrehte Material für ihre Fahndung nach Cybergroomern und eröffnete damit über 50 Strafverfahren.

SRF1, 10vor10, 1.6.2021.

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