Eigentlich hätte der am 31.12.1943 geborene Krishna Pandit Bhanji Musiker werden sollen. Dazu ermunterten ihn in den Sixties immerhin John Lennon und Beatles-Manager Brian Epstein. Doch Krishna zog es zur Schauspielerei. Nachdem er bei einem ersten Vorsprechen für eine Theaterrolle abgeblitzt war, schlug sein pragmatischer Vater eine Namensänderung vor: Als Ben Kingsley begann der junge, unausgebildete Mime dann eine Karriere, die ihn dereinst zu Oscar-Ehren und Ritterschlag führen sollte.
Seine kunterbunte Abstammung – Sohn eines Arztes, Enkel eines Gewürzhändlers, indisch/britisch/russisch mit muslimisch-hinduistisch-jüdischem Erbe gespickt – hatte dem jungen Krishna das Leben im Nordengland der Nachkriegszeit schwer gemacht.
Vom Theater zum Kino
Als Schauspieler konnte Ben Kingsley davon profitieren. Er wurde in die Royal Shakespeare Company aufgenommen und widmete sich 15 Jahre lang dem Theater. Nach Abstechern zur Daily Soap «Coronation Street» und anderen britischen TV-Serien wurde Kingsley von Richard Attenborough für einen Part gewählt, der ihn sofort zum Star machte.
Als Gandhi überzeugte der 38-Jährige aus Yorkshire Publikum und Kritik gleichermassen und erntete für seine erste Hauptrolle den Oscar und andere hohe Ehrungen der Filmkunst.
Friedensapostel und Fieslinge
Seither hat Kingsley sich auf keinen Rollentyp fixieren lassen, sondern alles Mögliche ausprobiert. Freilich kam ihm sein schwer definierbar exotisches Äusseres entgegen, wenn es darum ging, geheimnisvolle und undurchsichtige Gesellen zu spielen: sei es ein Scheich wie in Roland Joffés «Harem» (1985), ein mutmasslicher Folterer in Roman Polanskis «Death and the Maiden» (1994), der stolze iranische Hauseigentümer in «House of Sand and Fog» (2003) oder aktuell ein sagenumwobener persischer Arzt des Mittelalters in «Der Medicus». Faszinierend wurden aber auch Durchschnittsbürger, wenn Kingsley sie verkörperte, wie etwa der einsame Buchhändler in John Irvins «Turtle Diary» (1986).
Er hat gute Juden (Simon Wiesenthal in «Murderers Among Us», 1989; Itzhak Stern in «Schindler's List», 1993; Otto Frank in «Anne Frank», 2001) ebenso überzeugend gespielt wie böse Juden (Meyer Lansky in «Bugsy», 1991; Fagin in «Oliver Twist», 2005).
Eine tolle Besetzung für Bösewichte
Seine Gabe, eine unheimliche Ruhe auszustrahlen, hinter der sich ungeahnte Aggression staut, macht Kingsley zu einer tollen Besetzung für Bösewichte.
Sein Ultra-Cockney-Ganove Don Logan in «Sexy Beast» (2000) versetzt den doppelt so breiten Ray Winstone in Angst und Schrecken; in «Iron Man 3» (2013) macht Kingsleys fieser «Mandarin» Tony Stark das Leben zur Hölle, aber auch als Gangsterboss «Rabbi» im Thriller-Spass «Lucky Number Slevin» (2006) begegnet er seinem Gegenspieler, Morgan Freeman als «The Boss», auf Augenhöhe.
Sir Bens Marotten
Neben Gandhi, Otto Frank und Simon Wiesenthal hat Kingsley noch weitere historische Persönlichkeiten verkörpert, vom Komponisten Schostakowitsch in «Testimony» (1988) über Lenin («Il treno di Lenin», 1988) bis zum Filmpionier Georges Méliès in «Hugo» (2011).
Letzteres war seine zweite Zusammenarbeit mit Martin Scorsese; in «Shutter Island» (2010) hatte Kingsley dem Psychiater Cawley eine ganz eigene Persönlichkeit verliehen und ihn – in Abweichung zu Dennis Lehanes Romanvorlage – als leicht affektierten, Pfeife rauchenden Briten gespielt, den er als archetypischen «Überbringer bedingungsloser Liebe» betrachtete.
Als Schauspieler hoch angesehen, hat Kingsley privat einigen Stoff für die Klatschspalten geliefert. 2001 wurde der Arztsohn aus Yorkshire zum Ritter geschlagen; seither besteht er darauf, als «Sir Ben» angeredet zu werden, und benimmt sich angeblich noch arroganter als früher.
Sein Faible für jüngere Frauen belegt auch seine aktuelle – vierte – Gattin Daniela, eine knapp 40-jährige Brasilianerin. Da passt es prima, dass Kingsley in Isabel Coixets «Elegy» (2008) den alternden Dozenten und Kulturkritiker David Kepesh spielt, der sich in die Studentin Consuela verguckt und gezwungen wird, sein Selbstbild zu hinterfragen.
Die spanische Regisseurin hat «The Dying Animal» (dt. «Das sterbende Tier»), Philip Roths selbstironischen Roman über Altherrenphantasien und Eifersucht, mit der gebotenen Distanz verfilmt. Sir Ben entwickelt sich darin vom geilen Brustfetischisten zum devoten Liebhaber der anbetungswürdigen Penélope Cruz.