Der Tod von Philip Seymour Hoffman hat mich mitten ins Herz getroffen, und ja, ich habe echte, heisse Tränen vergossen. Er tut mir weh und kränkt mein Gerechtigkeitsempfinden, ich finde es eine Gemeinheit des Schicksals, diesem faszinierenden Künstler im 46. Lebensjahr den Garaus zu machen. Sein Tod verleitet die kindische meiner inneren Stimmen zum hilflos-vorwurfsvollen: «Immer die Guten müssen gehen!»
Dabei kenne ich Herr Hoffman in etwa so gut, wie die Supermarktkassiererin, die seit Jahren an dieser bestimmten Supermarktkasse sitzt. Obwohl ich ihr Woche für Woche Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe und ihr bei der Arbeit zusehe, weiss ich doch nichts über den Menschen, der sich hinter der professionellen Geschäftigkeit verbirgt.
Und was weiss ich, ob dieser Phillip Seymour Hoffman (PSH) ein anständiger Zeitgenosse war? Womöglich war er ein garstiger Kerl und man mochte ihm im wahren Leben so wenig über den Weg laufen, wie man mit den meisten seiner Leinwandcharaktere lieber nichts zu tun haben möchte.
In Unterhose der Sicherheitslinie entlang
Schmuddelig, arrogant, undurchschaubar, manipulativ, gebrochen: PSH war ein Meister seines Fachs, und das seine war nicht das des strahlenden Sympathieträgers. Seine Figuren sind immer vielschichtig und scheinen ein Geheimnis in sich zu tragen, oft tun seine Auftritte auf eine merkwürdige Art weh.
Wenig Schauspieler haben so eine makellose Vita wie PSH, fast jeder Film mit ihm ist ein Ereignis. Am nachhaltigsten beeindruckt hat mich wahrscheinlich seine Darstellung des Sektengurus Lancaster Dodd in «The Master». Aber in keinem seiner Filme bilde ich mir ein, ihm näher gekommen zu sein, als in «Love Liza», diesem wunderbaren kleinen Indie-Film von 2002, einem meiner liebsten Filme überhaupt.
Immer wieder aufs Neue bringt PSH mich darin zum Heulen: Als Wilson, ein vor Schmerz taumelnder, rastlos nach Linderung suchender Bär von einem Mann, dessen Ehefrau sich das Leben genommen hat.
Der Benzindämpfe schnüffelt, um sich ausruhen zu können von einer Realität, die ihm das Herz gebrochen hat. Der Modellflugzeuge fliegen lässt, um zu fühlen, wo oben, wo unten ist. Der sich, zu Fuss und nur in Unterhose bekleidet, aufmacht zu den unbekannten Lichtern in der Ferne des Horizonts, der Sicherheitslinie einer grossen, befahrenen Strasse entlang.
Könnerschaft und Hingabe
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«Love Liza», ist ein kleiner, unendlich sanfter Film. Ein Film, der sich in zarten Gesten über dieses Leben wundert, das manchmal so schneidend wehtut. Ein Film, den ich so liebe, weil er – und der wunderbare Philip Seymour Hoffman darin –, so vielschichtig Schmerz und Freude am Leben ausdrückt, wie es sich in unserem Alltag oft nur schwer fassen und ausdrücken lässt.
Um noch einmal auf die Supermarktkassiererin zurückzukommen und meinem Verhältnis zu ihr bzw. zu Philip Seymour Hoffman: Er war mir also im echten Leben nicht persönlich bekannt und womöglich kein besonders netter Kerl. (Vielleicht auch doch. Ich hoffe es. Es würde mich freuen.) Und doch hat mich dieser Mensch mit seiner Arbeit, seiner Könnerschaft und der Hingabe an seinen Beruf so oft so sehr berührt und erfreut wie nur wenige Menschen in meinem direkten Umfeld mich zu berühren und erfreuen vermögen.
Immer die Guten
Das ist bizarr! Und fantastisch! Auch wenn Herr Hoffman seine Arbeit nicht exklusiv dafür getan hat, um mir persönlich eine Freude zu machen: Was für ein Geschenk! Nicht eine Sekunde länger denke ich darüber nach, ob es albern ist, um einen Hollywoodstar aufrichtige Tränen zu vergiessen. Dieser sinnlose Tod. Er macht mich traurig. Sehr.
Heute Abend werde ich mir diesem fantastischen Schauspieler zu Ehren noch einmal «Love Liza» anschauen. Und mit Wilson weinen, wenn er sich endlich dazu durchringt, den Abschiedsbrief seiner Frau zu lesen. Und ihre letzten Worte darin: «Love, Liza».
Immer die Guten. Mann.