Peter Liechti hat seine Filme nicht gemacht, um Botschaften zu verkünden oder um fertige Geschichten zu erzählen. Für ihn war der Film das Medium, um den Dingen auf den Grund zu gehen.
Zwischen Dokumentar- und Spielfilm
Oft ganz wörtlich, zum Beispiel mit «Hans im Glück» von 2003. Da wanderte der Filmemacher mit der Kamera als Geh-Hilfe im Gepäck durch die Schweizer Landschaft und versuchte dabei und damit, sich das Rauchen abzugewöhnen. Die Wanderung mit ihren Begegnungen und Reflexionen wurde zu viel mehr als dem dokumentarischen Protokoll einer Selbstsuche: «Hans im Glück» war Essay, Spiel, Parodie und Generationenspiegel zugleich, ein exemplarisch schweizerischer Film.
Kunstvoll, eigenwillig, experimentell – will man Peter Liechtis filmisches Werk beschreiben, scheinen alle Wörter, die einem dazu einfallen, unzureichend. Liechti filmte, was ihn persönlich umtrieb und interessierte – er schuf daraus Kunstwerke für die Leinwand. Seine Filme entziehen sich den klassischen Zuschreibungen: Dokumentar- oder Spielfilm, das mochte Liechti nie völlig unterscheiden bei seiner Arbeit.
Am Ende bleibt stets ein Glücksgefühl
Beiträge zum Thema
- CH-Filmpreis (21.3.14)
- Von Kleinbürgern und Angsthasen - «Vaters Garten» (25.9.13)
- Vaters Garten. Die Liebe meiner Eltern («Tagesgespräch», 25.9.13)
- «Vaters Garten»: (K)ein Elternporträt («Reflexe», 26.9.13)
- Peter Liechtis radikale «Dokumentaressays» (Kulturplatz, 24.4.13)
- Peter Liechti: Musikalisches Road-Movie (10vor10, 30.10.01)
Die Kunst hat ihn, den Filmemacher, der zuerst Zeichenlehrer war, immer begleitet. 1995 präsentierte er als ersten Kinofilm «Signers Koffer»: einen Film über den Appenzeller Konzeptkünstler Roman Signer. Die flüchtige, manchmal explosive Kunst des Appenzellers, der als Performance auch mal einen Hut in die Luft fliegen lässt, fand im Medium Film, das solche Explosionen sogar rückgängig machen kann, das ideale Gegenstück.
In allen Filmen Peter Liechtis bleibt am Ende das Gefühl zurück, nicht nur ein sorgfältig recherchiertes und kunstvoll aufgearbeitetes Werk über ein gesetztes Thema gesehen zu haben. Man meint, immer auch ein wenig über den Filmemacher Peter Liechti selber erfahren zu haben.
Europäischer Filmpreis für «The Sound of Insects»
Man lernt einen nachdenklichen, ironischen Peter Liechti kennen mit «Hans im Glück», eben jener Reise von jenem Liechti, der aufbrach sich das Rauchen abzugewöhnen, von 2003.
Man lernt einen anderen Peter Liechti kennen, einen suchenden, asketischen, faszinierten, über seinen radikalen kunstvoll dokumentarisch inszenierten Film «The Sound of Insects», das musikalische umgesetzte literarische Protokoll eines freiwilligen Hungertodes, für den er den 2009 den Europäischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm erhielt.
In jedem seiner Filme ist Peter Liechti mit dabei, als Autor, als Instanz, als Suchender, Fragender, auch dann, wenn er nicht im Bild ist, und auch nicht auf der Tonspur.
«Vaters Garten», sein filmischer Abschied
Ganz besonders manifest ist dieser persönliche Zugang in seinem letzten Film «Vaters Garten. Die Liebe meiner Eltern». Diese nicht immer einfache, aber oft sehr behutsame und zärtliche Auseinandersetzung mit seinen eigenen Eltern ist Liechtis filmischer Abschied geworden. Er selber tritt darin selten auf, auch wenn er hinter der Kamera und als Stimme immer wieder präsent ist. Neben den dokumentarischen Aufnahmen gibt es in dem Film aber auch ein «Hasentheater», Szenen, in welchen Originaldialoge der Eltern mit Hasenpuppen nachgespielt werden. Dort spiegelt sich auch Peter Liechti, als Kasperlefigur, die auch mal ausflippt.
Ein letzter Film aus dem Krankenbett?
Film und Filmemacher, Werk und Person Peter Liechti gehörten immer zusammen in diesem eigenwilligen Lebenswerk eines Künstlers, dem in den letzten Jahren viele Auszeichnungen und Retrospektiven gewidmet wurden: Europäischer Filmpreis, Preise an Filmfestivals von Berlin bis ins koreanische Busan, Retrospektiven in Berlin und Solothurn, und nun, zuletzt noch, der Schweizer Filmpreis vor zwei Wochen.
Und er hat nicht aufgehört. Noch im Kampf gegen den Krebs hat Peter Liechti weiter konzipiert und gesucht und gefilmt. Wie weit er mit dieser letzten Arbeit noch gekommen ist, ist noch nicht absehbar. Aber sein Wille, den Dingen, auch den unangenehmen, auf den Grund zu gehen und sich an ihnen zu reiben könnte ihn überleben. Vielleicht haben wir den letzten Liechti noch nicht gesehen, sein letztes, vorsichtig skeptisches Lachen noch nicht gehört.