SRF: Herr Meurer, sie sind ein Mythenforscher, der sich vor allem auf die Figur des Vampirs spezialisiert hat. Wieso ist der Vampir eine so wichtige mythologische Figur?
Hans Meurer: Den Vampir – also das, was man mit ihm in Verbindung bringt: Unsterblichkeit in Kombination mit rastlosem Umherwandeln – gibt es in fast allen Kulturen. Im Christentum ist die Personifizierung des Bösen der Teufel. Doch ganz konkret ist auch der Vampir der Vertreter des Bösen auf Erden, quasi der Gegenspieler zu Jesus: Jesus gibt das Blut für andere, der Vampir nimmt es für sich selbst. Die Urform des Vampirs kommt aus dem Alten Testament, denn auch dort gehen Dämonen um, um die Menschen zu verführen. Oft verführen sie durch die Sexualität. Darum ist «Böse» und «Sexualität» in allen alten Schriften miteinander kombiniert.
Ist es die Verbindung von Vampiren und Sex, die das Thema in Büchern und Filmen auch heute noch attraktiv macht? Man denke an die Hollywood-Filme «Twilight», in denen ein Vampir eine Liebesbeziehung zu einer Sterblichen eingeht.
«Twilight» ist ein soziologischer Reflex auf die Gesellschaft in Amerika. Die Autorin der «Twilight»-Geschichten, Stephenie Meyer, regte sich über die Übersexualisierung in den USA auf. Dass in «Twilight» ein Vampir – gegen seine Natur – eine sterbliche Frau liebt und ihr, um sie nicht zu verletzten beziehungsweise zu beissen, nicht zu nahe kommen darf, schien ihr die höchste Form von Liebe. Die guten Vampire funktionieren hier aber auch nur, weil es auch die bösen gibt.
Vampire könne also durchaus etwas Heldenhaftes haben?
Ja, aber das hält nie lange – auch in Hollywood-Geschichten ist das Gute im Vampir sehr prekär. In «True Blood» zum Beispiel, einer US-amerikanischen Fernsehserie, geht es ziemlich heftig zu und her. Es gibt keine generelle Wandlung des Vampirs durch die Unterhaltungsindustrie.
Wieso faszinieren uns Vampire dennoch, obschon sie böse sind?
Vampire sind die Projektion unserer Urängste. Um mit unserer Angst umgehen zu können, müssen wir sie in konkrete Vorstellungen verwandeln. Am besten in Form von Erzählungen. Gerade heute wird die Welt immer komplexer, wir verstehen sie immer weniger. Damit wachsen unsere Ängste. Vorstellungen von Figuren wie Vampiren helfen uns, mit diesen Dingen fertig zu werden.
In Filmen wie «Twilight» leben Vampire unter uns, sie steigen nicht etwa aus der Unterwelt empor. Wieso werden in Erzählungen Vampire immer mehr in den menschlichen Alltag eingebettet?
Das hat wohl damit zu tun, dass sich der Glaube an Himmel und Hölle stark verdiesseitlicht hat. Das Böse lebt deshalb unter uns und ist nicht mehr abstrakt.
«What We Do in the Shadows» ist der neuste Vampir-Streifen in den Kinos. In ihm leben ein paar uralte Vampire in einer Wohngemeinschaft, der Film ist wie ein Dokumentarfilm aufbereitet. Wie in «Twilight» sind die Vampire unsere Nachbarn . Was halten Sie von diesem Film?
Beitrag zum Thema
Den Ansatz, ein Vampirleben wie ein menschliches Leben – mit all seinen Tücken – darzustellen, ist erst einmal ganz interessant. Nur: Wenn man mit solchen Dingen spielt, muss man sich auch mit den Mythologien, mit der Art und Weise, wie Menschen über Vampire denken und auch mit den Klischees über Vampire so geschickt spielen, dass man damit auch intelligenteren Humor erzeugen kann. Nur einfach Vampire Menschen spielen zu lassen, das ist mir etwas zu platt.
Was würden Sie sich von einer guten Vampir-Komödie wünschen?
Dass sie die Mythen richtig einsetzt. Dass sie mit ihnen spielt und vor allem ernst nimmt. Das Paradebeispiel ist für mich nach wie vor «Tanz der Vampire» von Roman Polanski, der die Mythen gekannt hatte. In einer Szene wird das besonders deutlich: Als der Wirt Shagal zum ersten Mal als Vampir erscheint, wird ihm ein Kruzifix entgegen gehalten. Er wiederum sagt, dass das bei ihm nicht helfe, sondern nur bei christlichen Vampiren, er aber sei ein jüdischer. Dieses Spiel mit der Mythologie ist intelligent und sehr witzig.
Sendung: Kultur Kompakt, SRF 2 Kultur, 31.12.2014, 17.20 Uhr