Am Anfang stand ein Bier. Und die Lust, etwas Neues anzupacken. «Wir waren ein paar verrückte Leute in einem Filmclub in Winterthur und hatten irgendwann die Bieridee, selber ein Festival auf die Beine zu stellen», erzählt Rolf Heusser, der bei der Gründung der Winterthurer Kurzfilmtage vor 20 Jahren dabei war.
«Wir haben uns in der Schweiz herumgeschaut und nirgends gab es ein Kurzfilmfestival. Also versuchten wir es.»
Kein Ende in Sicht
Drei Tage lang zeigten die Verrückten deutschsprachige Kurzfilme. In vielen ehrenamtlichen Arbeitsstunden stellten sie ein erstes Programm zusammen.
Und waren erstaunt, dass 750 Leute kamen. «Wir hatten schon beim ersten Mal Erfolg. Dann versuchten wir es ein zweites Mal und hatten noch grösseren Erfolg. Und dann konnten wir nicht mehr aufhören», so Rolf Heusser.
Ein Koffer voll mit Filmen
Improvisation gehörte in den ersten Jahren zum Markenzeichen des Festivals. Auch in der Zusammenarbeit mit Filmschaffenden aus Ländern wie Iran oder Kuba, wo Künstler nicht frei arbeiten können.
«Die entsprechenden Personen reisten in diese Länder, packten ihre Koffer voll mit Filmen und kamen zurück – schwarz über den Zoll. Das gehörte ein wenig zum Groove des Festivals», erinnert sich Gründungsmitglied Heusser.
Demokratie über alles
Fast zehn Jahre lang kamen die Winterthurer Kurzfilmtage ohne eine künstlerische Leitung aus. Alle Mitglieder des Vereins konnten mitreden.
«Wir schwörten auf die Basisdemokratie. Diskutierten nächtelang jedes Detail, in einem Kreis von bis zu 30 Leuten – bis wir dann merkten, so geht es nicht mehr. So kommt man zu keinem Ende und zu keinem Festival. Wir wussten, jetzt müssen wir professionalisieren.»
In der Folge gelang das Kunststück, das Festival professionell zu organisieren, und doch etwas von der Frische des Anfangs beizubehalten.
Diskurs steht im Mittelpunkt
Längst gibt es Wettbewerbe und kuratierte Fokus-Programme, bei denen auch Filmwissenschaftler mitreden. Doch es soll weiterhin genügend Raum zum Experimentieren und Mitreden geben. Denn die Kurzfilmtage wollen beides sein: ein Branchentreff und ein Publikumsevent.
Vor allem geht es darum, die Leute ins Gespräch zu bringen, sagt der künstlerische Leiter John Canciani: «Der dringliche Wunsch war schon von Anfang an, die Leute nach Winterthur zu bringen.»
Das Festival sei eine Plattform für Filmemacher, die Branche und für das Publikum, sagt Canciani: «Wir führen alle zusammen – und sagen: ‹Sprecht darüber, schaut euch das an, habt eine Meinung.› Das ist der Spirit, der schon immer im Vordergrund stand.»
Politische Kurzfilme
Das Kino als kollektives Erlebnis hat für John Canciani nur dann einen Sinn, wenn daraus ein Diskurs entsteht. Und an Diskussionsstoff mangelt es bei den Kurzfilmtagen nicht, weil die Filmemacher in diesem Format schnell auf aktuelle Themen reagieren können.
«Der politische Film ist im Kurzfilm Zuhause. Der Kurzfilm hat den Vorteil, dass man schnell etwas produzieren kann – auch Low-Budget, aber nicht nur. Darum gibt es immer wieder gestandene Filmemacher, die zum Kurzfilm zurückkehren.»
Beitrag zum Thema
17'000 Zuschauerinnen
Die Umsetzung einer Idee ist bei Kurzfilmen ohne jahrelange Budgetplanung möglich. Für Macher ist es einfacher, zu experimentieren – und auch das Publikum ist offener bei der kurzen Form: Denn wenn es einem nicht gefällt, ist der Film auch schnell wieder zu Ende.
Die Möglichkeit, in kurzer Zeit Filme aus aller Welt zu sehen, lockt mittlerweile 17‘000 Zuschauer jährlich nach Winterthur. Zahlen, von denen die Gründer beim Bier vor 20 Jahren nicht zu träumen wagten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 7.11.2016, 12:10 Uhr.