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«Okja» Trailer
Aus Kultur Extras vom 19.05.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 6 Sekunden.
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Netflix in Cannes Arme Säue im Film – und im Publikum

«Okja» ist die erste von zwei Netflix-Produktionen, die am Filmfestival in Cannes zu sehen sind. Das führte im Vorfeld zu Diskussionen. Der Film selbst sorgte beim Premierenpublikum für Irritation.

Die kleine Mija ist in Südkorea aufgewachsen. Zehn Jahre lang lebte sie mit dem riesigen Super-Pig Okja bei ihrem Alpöhi. Das computeranimierte Tier, mehr Nilpferd als Schwein, ist Mijas bester Freund.

Die beiden tollen im Wald umher und Okja rettet Mija auch schon mal das Leben am Berghang – Lassie lässt grüssen.

Die schönste Sau soll sterben

Okja ist allerdings eines von 26 weltweit verteilten Promotieren, welche die New Yorker Mirando-Company als neue Fleischlieferanten für die Menschheit gezüchtet haben will.

Buhrufe im Kinosaal

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Legende: Reuters

Bei der Weltpremiere in Cannes gab es für «Okja» Buhrufe. Diese galten in erster Linie nicht dem Film, sonder den technischen Problemen bei der Vorführung. Ausgebuht wurde aber auch das Netflix-Logo.

Und nun kommt der Tag, an dem sich Mija von ihrer Freundin Okja trennen soll. Als schönste Supersau soll sie in New York zur Lancierung der neuen Fleischproduktion prämiert werden.

Actionszenen auf dem Supernasen-Niveau

Es folgt der Auftritt der Oeko-Terroristen von ALF, der Animal Liberation Front – geführt von Paul Dano und bestückt unter anderem mit Steven Yeun (Glenn von «The Walking Dead») und Lily Collins.

Das führt zu einigen spektakulären Lastwagen- und Shopping Mall Stunts mit dem riesigen CGI-Tier. Es bleibt im komischen Tonfall immer irgendwo auf «Supernasen»- oder Jackie-Chan-Niveau.

Tilda Swinton bleibt unverwechselbar

Bis zu diesem Zeitpunkt ist Okja ein überdrehter Kinderfilm, eingestimmt durch einen völlig überdrehten Auftritt der stets unverwechselbaren Tilda Swinton als CEO der Mirando-Company.

Eine Frau mit einem Kind. Das Kind schaut entsetzt.
Legende: Tilda Swinton als böse CEO der Mirando-Company will Okja schlachten. Netflix

Aber mit den Szenen in New York kippt die Stimmung. Okja wird in einem Labor getestet, misshandelt und von einem Super-Eber vergewaltigt. Die ALF-Leute filmen jedoch alles mit einer Kamera, die sie ihr unters flappige Ohr geklebt haben.

Kaspereien für den asiatischen Markt

Hier ist diese Netflix-Produktion zwar nicht mehr kindertauglich, wird dadurch aber weder unterhaltsamer noch konsistenter im Ton.

Die Kaspereien der exzellenten Darsteller mögen dem asiatischen Markt geschuldet sein und funktionieren in Südkorea garantiert besser als beim eher konsternierten Autorenfilm-Publikum in Cannes.

Frisch ab Leinwand

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SRF-Filmkritiker Michael Sennhauser schaut sich am Festival Cannes die wichtigen Filme an und schreibt über seine ersten unmittelbaren Eindrücke.

Mehr Filmbesprechungen unter sennhausersfilmblog.ch.

Geschmackloser Schweine-Holocaust

Vollends aus den Schienen springt der Film dann allerdings, wenn Bong Joon Ho die riesige Schlachtanlage für die Superpigs als eigentlichen Schweine-Holocaust inszeniert, komplett mit hohen Elektrozäunen und einer an KZ-Anlagen erinnernden endlosen Einpferchung.

Der resultierende Horror mag einen zum temporären Vegetarier machen, dann aber überwiegt der Degout über den geschmacklosen, pietätlosen Einsatz bekannter Bildmotive.

Erstklassige Computergrafik

Und der wird dann gleich noch einmal aufgeheizt mit dem seltsam angeklebten Happy-End, zurück bei Korea-Alpöhi mit Okja, Mija und einem geretteten und adoptierten Frischling.

Das ist eine teure und auf verschiedene Märkte abzielende Grossproduktion mit internationaler Besetzung und erstklassiger Computer-Grafik.

Mehr über Cannes

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Am 17. Mai beginnt an der Côte d'Azur zum 70. Mal der Wettstreit statt um die Goldene Palme. Wir berichten über die wichtigsten Filme, Stars auf und neben dem roten Teppich und werfen ab und zu einen Blick darauf, was in Cannes abseits des grossen Rummels passiert.

Aber selbst Tilda Swinton als ihr eigener böser Zwilling kann die Kiste für ein nur halbwegs anspruchsvolles Publikum nicht retten.

Viel Lärm um nichts?

Wenn dieser Film der Anlass war für die Netflix-Kontroverse des Festivals mit den französischen Filmverleihern und Kinobetreibern, dann kann man nur noch sagen: Tant de bruit pour une omelette?

Aber vielleicht erweisen sich ja Noah Baumbachs Meyerowitz-Stories, der zweite Netflix-Film im Wettbewerb, am Sonntag als publikumstauglicher und damit als würdigerer Stein des Anstosses.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.5.2017, 7.20 Uhr.

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