Es ist ein ziemlicher Brocken, den das Festival dieses Jahr zur Eröffnung ausgewählt hat. Aber der Film ist gut. Catherine Deneuve spielt eine Jugendrichterin, welche die Delinquenten-«Karriere» des jungen Malony über zehn Jahre geduldig und formend begleitet.
Aggressiver Engel
Schon die erste Szene macht deutlich, was für eine Geduld nötig sein wird. Die Mutter des Sechsjährigen lässt diesen völlig aufgelöst im Büro der Richterin zurück, weil sie einfach überfordert ist von seiner Aggressivität und dem Schreien seines kleinen Halbbruders in ihren Armen. Dabei sitzt Malony da wie ein kleiner Engel, und als die Mutter weg ist, kullert ihm eine einzige Träne über die Backe.
Erst nach dem nächsten Schnitt und einem Zeitsprung über acht oder neun Jahre lernen wir den wütenden, ausgeflippten, aggressiven Malony kennen. Er rast in einem gestohlenen Auto durch die Nachbarschaft, seine Mutter (die mehr wie seine Freundin wirkt) sitzt begeistert dabei. Und wieder landet er bei der Jugendrichterin.
Geduld führt zum Ziel
Benoît Magimel stösst dazu, als eine Art Bewährungshelfer für Jugendliche, Malony kommt auf einen Erziehungshof, wo er auf noch mehr sehr geduldige Menschen stösst. Und auf ähnlich aggressive Jungs.
Das Faszinierende am Film von Emmanuelle Bercot ist die Geduld, welche vor allem die Frauen mit dem Satansbraten an den Tag legen. Im Kinosaal sitzen jeweils wohl nur ganz wenige, welche diesen Malony länger als zehn Minuten ertragen würden.
Ende gut alles gut?
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Und so werden wir dann alle beschämt, als es nach zwei Stunden doch gelungen scheint: Malony hat eine Freundin und ein neugeborenes Kind (das alle abtreiben wollten, auch er zunächst).
Es gab hier in Cannes etliche französische Filme, welche die Erziehungsinstitutionen und die heroischen Bemühungen ihrer Betreiber betont haben in den letzten Jahren, «Entre les murs» war nur einer davon, semidokumentarisch und sehr erfolgreich.
Nie rührselig
Regisseurin Emmanuelle Bercot ist auch Schauspielerin und hat in unter anderem in Maiwenns «Polisse» von 2013 mitgespielt. Ähnlich wie jener Film ist auch ihr «Tête haute» überraschend institutionsfreundlich – und gleichzeitig natürlich sehr suggestiv.
Die Erfolge, welche Catherine Deneuves Juge Florence Blaque mit ihrer mütterlichen Strenge und Geduld erreicht, die sind wohl rar in Wirklichkeit. Dass der Film dennoch nie rührselig oder abgehoben wirkt, verdankt er seinem extremen Realismus. Und der cleveren Zeitraffung über zehn Jahre hinweg.