Charlotte Roche, was hat das in Ihnen ausgelöst, als Sie von der Verfilmung des Buches gehört haben?
Charlotte Roche: Dass das Buch verfilmt wird, war keine Überraschung. Ich wollte die Rechte ja unbedingt verkaufen. Die Frage war vielmehr, an wen. Für mich ist das Wichtigste, dass der Humor des Buches auch im Film ist.
Der Roman bricht viele Tabus. Beim Film mussten Sie, David Wnendt, dafür sorgen, dass es für ein grosses Publikum funktioniert, also ein wenig dämpfen.
David Wnendt: Das war nicht der Ansatz – ich habe nicht die ganze Zeit gedacht: «Wie kann man das jetzt dämpfen?». Ich habe im Buch auch etwas anderes gesehen. Man kann den Roman nicht auf Tabubruch und Provokation reduzieren, da steckt auch viel anderes drin. Es ging darum, das in den Film zu übersetzen – Bilder zu finden, die Figur zu gestalten und mit der Schauspielerin zu erarbeiten. Damit habe ich mich beschäftigt, nicht mit dem Eindämpfen.
Das Buch hat ja für viel Aufregung gesorgt. Carla Juri, kannten Sie den Roman schon vorher?
Carla Juri: Nein, ich kannte das Buch nicht. Ich war 2008, als es erschien, nicht in Europa und habe den ganzen Wirbel nicht mitgekriegt. Ich habe das erst beim Castingangebot kapiert. Ich habe das dann ignoriert und einfach das Buch und das Drehbuch gelesen.
Wie war denn die Begegnung mit dem Buch? Was hat Sie da gepackt?
Juri: Ich habe einfach den Menschen dahinter gesehen. Ich musste den Ursprung finden von Helens Aktionen. Da habe ich sofort den Schmerz gesehen, und da hat die Empathie angefangen. Ich habe dann versucht, ihre Komplexität verständlich zu machen.
Der Film weckt sofort Sympathien für die Hauptfigur. Im Buch mussten Sie die Figur hingegen immer wieder unsympathisch machen. War das anstrengend?
Roche: Ich habe im Buch viel mehr Zeit. Ich kann die Figur leichter erst sympathisch beschreiben und dann wieder unsympathisch, unsympathisch, unsympathisch. Oder abstossend, eklig. Ich glaube, dass es beim Film auch viel wichtiger ist, dass man jemanden schnell sympathisch findet. Da muss man dann auch viele Seiten wegstreichen, um die Figur schneller sympathisch werden zu lassen.
Gab es auch Momente, in denen Sie dachten, Sie müssen der Figur noch einen böseren Zug geben?
Roche: Ich schreibe nicht technisch, ich habe keinen grossen Plan. Ich schreibe einfach aus dem Bauch heraus. Alles passiert einfach so. Im Buch ist Helen auch wirklich unsympathischer, sie macht es dem Leser sehr schwer. Man muss sich durch sehr viel Dreck, Schmerz, Eiter und Masturbation kämpfen, um den Mensch dahinter zu sehen. Diese «Ekelwand» ist im Film dünner.
Das kam Ihnen bestimmt entgegen – dass die Bilder diese «Ekelwand» herstellen und Sie nicht selbst das Ekelpaket spielen müssen.
Juri: Nein, ich habe die Figur auch im Buch gemocht. Weil sie es einem, wie Charlotte sagt, nicht leicht macht. Man muss den Test überstehen und das ist ein Abenteuer. In ihrer Welt ist der Ekel auch eher etwas Kreatives. Gerade weil sie zuhause nicht so viel Wertschätzung erhält, identifiziert sie sich vielleicht auch lieber mit einem Bakterium. Diesen Mut zum Hässlichen empfand ich als einen ziemlich kreativen Zustand.
Ich habe mir sagen lassen, dass das Buch für Frauen ein hohes Identifikationspotential hat. Jetzt ist die Autorin eine Frau, die Hauptfigur ist eine Frau, aber der Regisseur ist ein Mann. Wie gingen Sie mit diesem «Frauenstoff» um?
Wnendt: Ich konnte mit dem Roman viel anfangen, auch wenn die Hauptfigur eine Frau ist. Mit der Gedankenwelt und den Alltagsbeobachtungen konnte ich mich stark identifizieren. Es gibt auch viele Männer, die das Buch gelesen haben und mögen. Helen sagt und entdeckt vieles, in dem man sich wiederfindet. Das gilt für Männer und Frauen. Es können ja auch nicht nur Frauen Filme über Frauen machen, man kann sich auch als Mann damit beschäftigen.
Eine Kollegin hat mir erklärt, dass Männer das gar nicht verstehen können, weil viel von dem Buch vom weiblichen Körper handelt – und davon hätten wir keine Ahnung.
Wnendt: Ich würde diese Unterschied gar nicht so gross machen. Die Sachen, die uns vereinen sind viel näher. Jeder Mensch wird, egal ob Mann oder Frau, in dem Buch etwas anderes sehen. Ich hätte auch nie gesagt, dass Helen in dem Roman unsympathisch ist. Man denkt natürlich «Die ist aber toll und lustig und erotisch» und dann gleichzeitig «Iih, das ist aber eklig». Da ist ein Zwiespalt, aber ich hätte das nie als unsympathisch beschrieben. Bei jedem lösen der Film und das Buch etwas anderes aus.
Es gibt noch ein zweites Buch von Ihnen, Frau Roche – «Schossgebete». Ist da auch ein Film zu erwarten?
Roche: Da kommt ein Film, der ist schon abgedreht. Aber ich hab ihn noch nicht gesehen.