Quentin Tarantino hat sich sein umfassendes Filmwissen als Videotheken-Verkäufer angeeignet: Das gehört zu seiner Legende. Aber Klein-Quentins filmische Erziehung begann viel früher.
Bereits als Siebenjähriger durfte er Mutter und Stiefvater ins Erwachsenen-Kino begleiten. Gewaltätige Actionfilme, Blaxploitation, späte Western: Mutter Connie habe ihm alles erlaubt – ausser «The Exorcist», erzählt Tarantino im ersten Kapitel von «Cinema Speculation».
Und in den US-Talk-Shows, in denen er sein Buch derzeit unermüdlich bewirbt, betont der Regisseur, dass er diese frühe Kino-Begeisterung seither zeitlebens mit seiner Arbeit für sich und sein Publikum wieder erreichen wolle.
Alles gesehen, vieles gelesen
Dass er das kann, hat er mit seinen Filmen bewiesen und mit seiner Romanversion von «Once Upon a Time in Hollywood». Begeisterung treibt auch «Cinema Speculation», allerdings nicht mit der gleichen breiten Durchschlagskraft.
Das Buch nimmt uns mit auf einen wilden Ritt durchs Kino, von Film zu Film. Tarantino verknüpft persönliche Erinnerungen und historische Einordnung, er schlägt Brücken von Meisterwerken wie Martin Scorseses «Taxi Driver» zu obskuren Rache-Filmen, die längst vergessen sind.
Der Mann hat nicht nur so gut wie alles gesehen, er hat offensichtlich auch unglaublich viel gelesen und im Verlauf seiner kometenhaften Karriere viele der Regisseure und Drehbuchautoren getroffen, über deren Arbeit er schreibt.
Schön der Reihe nach
Dass er sein Buch mehr oder weniger chronologisch durch die Filme der 1970er-Jahre in die Gegenwart peitscht, erklärt er im Vorwort gleich selber zum Paradox. Dies, weil er mit seinem Film «Pulp Fiction» das nicht-chronologische, verschachtelte Erzählen populär gemacht hat. Tarantino bittet die Leserschaft, das Buch nach seiner Kapitel-Reihenfolge zu lesen.
Das ist empfehlenswert, weil seine Argumentation, etwa zu Gewalt im Kino, sich fortlaufend über die vielen Beispiele aufbaut.
Zugleich sind es gerade all diese Beispiele, die das Lesen anstrengend machen. Das hat auch mit den Filmtiteln zu tun, die schon im englischen Original nicht immer allen geläufig sein dürften.
Damit beim deutschen Publikum der Groschen fällt, werden hinter den Originaltiteln in der Übersetzung stets noch in Klammern die seinerzeitigen, oft reichlich bekloppten, deutschen Filmtitel genannt.
Verdammt viele Kraftausdrücke
Das ist nicht das einzige Problem der Übersetzung von Stephan Kleiner. Denn so wie deutsch synchronisierte Filme vor allem mit der umgangssprachlichen Grobheit der amerikanischen Alltagssprache ihre Mühe haben, pendelt auch die Übersetzung von Tarantinos Text zwischen wörtlicher Wiedergabe und dieser komischen Umschreibung, die aus einem «fucking» behelfsmässig ein «verdammt» werden lässt und so stets künstlicher und gröber zugleich wirkt.
Quentin Tarantinos «Cinema Speculation» ist kein Buch für alle, keine Kinoeinführung für Einsteigerinnen. Aber wer sich auf den wilden Ritt einlässt, wird von diesem Strudel aus persönlichem Erleben und immensem filmhistorischem Wissen rettungslos mitgerissen.