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Filmklassiker «Rear Window» Alfred Hitchcocks voyeuristisches Meisterwerk feiert Geburtstag

Alfred Hitchcock hat damit Karriere gemacht, die voyeuristischen Neigungen des Publikums und seine eigenen zu befriedigen. Dürfte man das heute überhaupt noch? Wir wagen den Blick zurück.

«Rear Window» spielt in einem Wohnblock in New York während einer Hitzewelle. Niemand lässt die Jalousien herunter, man sieht in alle Appartements. Das nützt der wegen eines Unfalls an den Rollstuhl gefesselte Fotograf Jefferies, gespielt von Hollywood-Star James Stewart, aus. Er beobachtet seine Nachbarn vom Fenster seiner Wohnung aus.

Der Spiegel einer kleinen Welt: Die spärlich bekleidete Tänzerin etwa, die Jungvermählten, die viel Sex haben, der verzweifelte Musiker, der Handelsreisende, der sich mit seiner bettlägerigen Frau zankt. Jefferies gelangt zur Überzeugung, dass einer von ihnen ein Mörder ist.

Befriedigung voyeuristischer Neigungen

Die Geschichte beinhaltet, was Hitchcocks Werke ausmacht: Zum einen Spannung, weil der Zuschauer im Ungewissen bleibt, ob es wirklich einen Mord gab. Zum anderen eine Romanze: Jefferies turtelt mit Lisa, einem kühlen blonden Model mit Feuer im Herzen, gespielt von Hollywood-Ikone Grace Kelly. Sie will ihn heiraten. Er aber ist bindungsscheu, will lieber als Fotograf durch die Welt ziehen.

Jefferies beobachtet lieber das Geschehen draussen, als sich in seinem Innern festzulegen. Diese Schwere fängt der Film immer wieder mit Humor auf. Lisa sagt: «Ich wäre gerne kreativ.» Jefferies antwortet: «Liebling, das bist du doch. Du bist sehr kreativ, wenn es darum geht, Probleme zu erzeugen.»

Schwarzweiss-Foto von drei Personen in einem Innenhof.
Legende: Der Misterythriller spielte rund 37 Millionen US-Dollar ein und erntete positive, teils überschwängliche Kritik. «The Guardian» schwärmte: «Hitchcock hat damit Karriere gemacht, unsere voyeuristischen Neigungen zu befriedigen. Und er hat sie nie geschickter oder mit mehr schadenfrohem Selbstbewusstsein angeregt als in ‹Rear Window›.» Imago/Allstar

Der Thriller wurde zum Klassiker über obsessive Neugier. Die Zuschauer beobachten, wie Jefferies andere beobachtet und wie er reagiert. Sie übernehmen seinen Blickwinkel und machen sich so zu seinen Komplizen. «Rear Window» wird zur Metapher auf das Filmeschauen und das Filmemachen an sich.

Kein Regie-Oscar für den Meister des Beobachtens

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Das Meisterwerk «Rear Window» war für vier Oscars nominiert, darunter für die beste Regie, und gewann keinen einzigen. Alfred Hitchcock ging sein Leben lang leer aus. Dafür gabs 1968 den Spezial-Oscar für besonders kreative Filmproduzenten. Hitchcock reagierte ganz lakonisch und sagte bloss: «Danke. Wirklich vielen Dank.»

Liebe zum Kino stärker als jede Moral

Kritik am Gaffen des Fotografen kommt von seiner Pflegerin Stella, sie ist sein moralisches Gewissen. Und nennt sein Teleobjektiv «tragbares Schlüsselloch»: «Voyeure bekommen sechs Monate Zuchthaus. Da gibt es kein Fenster. Früher hätte man ihnen die Augen ausgestochen.»

Regisseur spricht mit Schauspieler im Rollstuhl, während Schauspielerin zuschaut.
Legende: Stehen selbst unter ständiger Beobachtung: Das Schauspielpaar Grace Kelly und James Stewart unter der Regie von Alfred Hitchcock. Der Filmemacher wäre dieses Jahr 125 Jahre alt geworden. Imago/Bridgeman Images

Hitchcock soll auf eine moralisierende Attacke gegen «Rear Window» entgegnet haben: «Nichts hätte mich davon abhalten können, diesen Film zu drehen, denn meine Liebe zum Kino ist stärker als jede Moral.»

Der Voyeurismus zahlt sich am Schluss denn auch aus: Der Mörder wird entlarvt und gefasst. Jefferies hat wegen eines Sturzes aus dem Fenster zwei Gips-Beine und wird wohl das Gaffen so schnell nicht lassen.

Doch ob sich in Liebesdingen seine distanzierte Passivität auszahlen wird, das lässt der Film offen. Und es keimt bei der Zuschauerin der Verdacht: Vielleicht ist das feige Beobachten von Menschen, die nicht wissen, dass sie beäugt werden, dieses geheime Sezieren durch Blicke, ja das schäbigere Verbrechen als der Mord?

Nicht mehr zeitgemäss

Alfred Hitchcock aber verteidigt seine Machart. In der britischen Zeitung «The Observer» erschien ein Artikel, der «Rear Window» einen grässlichen Film nannte, weil der Mann ein Voyeur sei.

Darauf antwortet der Regisseur in einem Interview: «Das war eine dumme Bemerkung, denn wen stört das schon? Wir sind alle verdorben. Das weiss doch jeder. Wenn man es nicht zu vulgär macht. Man muss es bei der Neugier belassen. Kein Mensch kann dem widerstehen.»

Diese Aussagen und das Voyeuristische in «Rear Window» sind heute nicht mehr zeitgemäss. Vor 70 Jahren aber machten sie Alfred Hitchcock zur Legende.

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Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 13.8.2024, 7:06 Uhr.

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