- Ali Abou Dehn verbrachte 13 Jahre in syrischen Gefängnissen , unter anderem in der Stadt Tadmor. Dort wurde er gefoltert .
- Im Dokumentarfilm «Tadmor» spielen er und seine Leidensgenossen Erlebtes nach .
- Mit dem Film will Ali Abou Dehn etwas tun für jene, die ohne Grund in Gefangenschaft leiden .
SRF: Wie kamen Sie als Libanese in die Fänge des syrischen Regimes?
Ali Abou Dehn: Syrien war damals Besatzungsmacht im Libanon. Ich wollte mein Land wegen des Kriegs verlassen. Als ich ein Visum für Australien beantragte, hat mich die Polizei rausgenommen. Sie sagte mir, es werde nur fünf Minuten dauern, dann sei ich wieder zurück. Aus fünf Minuten wurden schliesslich 13 Jahre.
Was waren denn die Gründe für die Verhaftung?
Gar keine. Irgendjemand konnte dich bei der Polizei als Spion melden, schon wurde gegen dich ein Haftbefehl ausgestellt.
Tadmor war ja nicht Ihre erste Station in syrischen Gefängnissen. Was hat Tadmor von den anderen unterschieden?
In Tadmor wurdest du schon mit 250 Peitschenhieben «begrüsst». Ohne Grund. Sie behandelten uns schlimmer als Tiere. Wir lebten Tag für Tag in Angst, wie weit die Folter noch gehen kann, wann wir sterben. All die Zeit haben wir Gott gebeten, uns davon zu erlösen – uns entweder die Freiheit zu schenken oder sterben zu lassen.
Warum haben Sie sich dem Trauma Jahre nach ihrer Entlassung noch einmal gestellt?
Niemand weiss bis heute ganz genau, was damals in den Gefängnissen geschah. Die meisten, die vor mir frei kamen, haben nicht darüber gesprochen. Ich schon, ich wollte darüber sprechen, um die Angst zu durchbrechen, um all die Wut auf die Täter zu überwinden.
In Tadmor wurdest du schon mit 250 Peitschenhieben ‹begrüsst›.
Wie entstand die aussergewöhnliche Idee, alles Erlebte für den Film nachzuspielen?
Unsere Gruppe ehemaliger Häftlinge aus dem Libanon wollte eine grössere Öffentlichkeit für unsere Geschichte. Als wir die Filmemacher Monika Borgmann und Lokman Slim trafen, kam der Wunsch, daraus einen Film zu machen. Dass wir dabei uns selbst und auch die Wärter spielen würden, ergab sich erst sehr spät im Prozess.
Hat sich das Experiment gelohnt?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben uns sofort wieder wie Häftlinge gefühlt. Mit diesem Film hoffen wir, dass möglichst viele Menschen von unserer Geschichte erfahren, mit uns mitfühlen und hoffentlich etwas tun für all jene, die noch immer ohne Grund in Gefangenschaft leiden müssen.
Sie wurden im Jahr 2000 begnadigt, nach dem Tod von Assads Vater. Wie ist Ihnen die Rückkehr in Ihr Leben gelungen?
Die erste Zeit war ich verloren. Ich traute mich nicht aus dem Haus, hatte dauernd Angst. Danach gewöhnte ich mich langsam an die veränderte Umwelt: Als ich verhaftet wurde, gab es noch kein Internet. Im Gefängnis hatten wir überhaupt keinen Zugang dazu. Die Welt hatte sich in diesen 13 Jahren meiner Haft enorm verändert.
Wie sollte ich meinen Töchtern wieder begegnen? Ich kannte ja ihre Gesichter nicht mehr.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Das war sehr schwierig für mich. Ich habe drei Töchter. Sie waren drei, fünf und sieben Jahre alt, als ich ins Gefängnis ging. Wie sollte ich ihnen wieder begegnen? Ich kannte ja ihre Gesichter nicht mehr. Das hat mich sehr traurig gemacht. Und meine Ehefrau war anfangs auch völlig überfordert.
Hatten Sie bald wieder eine Anstellung?
Nein, die ersten zwei Jahre war es unmöglich, einen Job zu finden. Der syrische Geheimdienst war immer noch präsent und überwachte alles. Als ich meinen Lebenslauf vorzeigte, war ich jeweils chancenlos bei den Bewerbungen.
Nach drei Jahren endlich fand ich eine Anstellung bei einem Zahnarzt in einer Klinik. Dort arbeite ich bis heute. Er ist sehr grosszügig und lässt mich auch für meine Engagements reisen, wann immer dies nötig ist.
Was hätten Sie sich vom Staat gewünscht?
Meine Botschaft ist, dass Menschen wie wir besser unterstützt werden. Im Libanon nahm uns niemand bei der Hand, zu einem Doktor oder Psychologen, nichts. Man hat uns uns selbst überlassen. Ohne Arbeit. 13 Jahre im Gefängnis zerstören ein Leben, eine Familie.
Glauben Sie, je über das Trauma hinwegzukommen?
Ich habe noch heute Albträume, erinnere mich an jede kleinste Einzelheit. Ich kann nichts vergessen. Und doch hoffe ich, eines Tages vergessen zu können. Vielleicht werde ich am Tag, an dem ich alles vergessen kann, sterben.
Das Gespräch führte Richard Herold.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 01.03.2017, 22:25 Uhr
Kinostart: 9.3.2017