Sind die fetten Jahre vorbei? Netflix hat mitgeteilt, dass der Streaming-Anbieter zum ersten Mal seit 2011 sinkende Nutzungszahlen verzeichnet. Nach über zehn Jahren Wachstum gibt es nun einen Dämpfer.
Als einen Grund für den Rückgang nennt Netflix, dass man wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine 700'000 Konten von russischen Nutzerinnen und Nutzern deaktiviert habe.
Das dürfte aber nicht der einzige Grund für den Rückgang sein. «In den USA zeigt sich schon etwas länger, dass die Abonnements-Zahlen bei Netflix stagnieren», sagt Jürg Tschirren von SRF Digital.
Zum einen sei der Markt langsam gesättigt, zum anderen bekommt Netflix die Konkurrenz von anderen Anbietern wie Disney+ oder Apple TV zunehmend zu spüren.
Für jede Serie ein eigenes Abo?
War Netflix einst der alleinige Anbieter für Serien- und Film-Streams, gibt es nun eine Vielzahl von Plattformen. Der Markt ist zersplittert: Jeder Anbieter hat seine eigenen Serien im Angebot. Wer sie alle sehen möchte, muss mehrere Abos lösen. Das geht ins Geld.
Ein Teil der Nutzerinnen und Nutzer verschafft sich stattdessen mittels Online-Piraterie Zugang zu den begehrten Serien: Aktuelle Zahlen zeigen, dass illegale Streams und Downloads wieder auf dem Vormarsch sind.
Zurück aus der Versenkung: Online-Piraterie
Das gab es schon mal: In den frühen 2000er-Jahren boomten illegale Downloads. Sie wurden erst von der Musik-Industrie, später auch von den Filmstudios mit grosser Vehemenz bekämpft.
Mit der Verfügbarkeit von bezahlbaren legalen Angeboten ging die Piraterie aber markant zurück. Ein aktueller Bericht der EU zeigt, dass die Nutzung von Piraterie-Websites in der EU bis 2020 kontinuierlich abgenommen hat.
Nun scheint sich der Trend wieder zu wenden: Ein Bericht von Akamai Technologies verzeichnet für das Jahr 2021 bei Online-Piraterie einen weltweiten Anstieg von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders gefragt sind TV-Serien. Sie machen rund die Hälfte der Besuche auf Piraterie-Websites aus.
Piraterie wurde obsolet
«Früher, als die meisten Serien und Filme auf Netflix verfügbar waren, war Piraterie gar nicht mehr nötig», sagt Digital-Experte Tschirren. Heute schauen viele Nutzerinnen und Nutzer neue Serien wieder illegal. In den USA dürfte auch die starke Inflation dazu beitragen, dass sich viele Nutzerinnen kein Streaming-Abo mehr leisten können oder wollen.
Bei der Musik spielt Online-Piraterie heute keine grosse Rolle mehr. Zwar gibt es auch hier nach einem langen Rückgang wieder ein leichtes Wachstum , allerdings auf tiefem Niveau. Die Abo-Zahlen der Musik-Streamingdienste wachsen weiterhin.
Allerdings ist der Markt bei den Musik-Streamingdiensten auch längst nicht so fragmentiert wie bei den Serien. Zwar gibt es auch hier verschiedene Anbieter, aber trotz dieser Konkurrenz kommt es selten vor, dass bestimmte Musik exklusiv auf einer einzigen Plattform verfügbar ist: Bei den verschiedenen Streaming-Diensten findet sich ein ähnliches, vollständiges Angebot.
Was bleibt für Nutzerinnen und Nutzer?
Ein solches einheitliches «One-Stop»-Angebot bei den Anbietern von Filmen und Serien wird weiterhin nur ein Traum von Serien-Fans bleiben, sagt Jürg Tschirren: «Für die Anbieter gibt es keinen Grund, die jetzige Situation zu verändern.»
Magere Jahre stehen den Zuschauerinnen und Nutzern trotzdem nicht bevor. Schliesslich führen die Zersplitterung und der Konkurrenzkampf dazu, dass die Anbieter viel Geld in tolle neue Serien investieren. Die grosse Frage bleibt einzig, wie man die alle schauen soll.