Wissen Sie, wie Küssen geht? Wo haben Sie den ersten Kuss gesehen, der nicht von Elternliebe getragen war? Klar. Im Kino. Oder am Fernsehen. Die Leinwandgeschichten haben viel beigetragen zur Ikonografie des Küssens. Aber auch zu leidenschaftlichen Träumen, denen die Wirklich nie gewachsen sein wird.
Skandalumwittert: Der erste Filmkuss in «Black Maria» (1896)
In den ersten Tagen des Kinos galten auch in den USA die viktorianischen Moralvorstellungen. Öffentliches Küssen war tabu. Damit Erfindungs-Vermarkter Thomas Edison die Sensation eines gefilmten Kusses wagen konnte, musste er auf ein skandalumwittertes Theaterstück zurückgreifen. Und auf ein verheiratetes Schauspielerpaar, das sich in seinem Hollywood-Mini-Studio der «Black Maria» für Sekundenbruchteile linkisch küsste.
Mit dem Kuss kam die Liebe: «Flesh and the Devil» (1926)
Der Stummfilm «Flesh and the Devil» von Clarence Brown änderte das Image von Greta Garbo vom Vamp zur Liebenden. Da es zwischen ihr und Superstar John Gilbert während der Dreharbeiten auch privat funkte, geriet der angeblich erste richtige Kuss der US-Filmgeschichte zu einer kleinen Sensation .
Neuer Kuss, neue Rollenverhältnisse: «Gone With the Wind» (1939)
Das Südstaaten-Drama «Vom Winde verweht» war zugleich Abgesang auf den alten Sklavenhalter-Süden der USA und auf ein paar Rollenvorstellungen. Hier kündigt sich ein neues Geschlechterverhältnis an.
Die verwöhnte Südstaaten-Schönheit Scarlett O’Hara wartet mit geschlossenen Augen auf den Kuss von Rhett Butler. Er verweigert ihn, weil sie ihm zu oberflächlich ist.
Der unzerstörbare Kuss: «Casablanca» (1942)
Dieser Kuss zwischen Humphrey Bogart und Ingrid Bergman ist schon im Film selber Vergangenheit: Eine Rückblende in die glücklichen Tage in Paris bevor der Krieg und die Nazis alles veränderten. Damit ist dieser Kuss eigentlich der ideale Filmkuss, weil er als Erinnerung unzerstörbar ist: «We will always have Paris …»
Es sind nur Richtlinien: «Some Like It Hot» (1959)
Der aus Deutschland eingewanderte Billy Wilder machte sich in Hollywood einen Spass daraus, die Regeln auf den Kopf zu stellen, auch jene des Hays-Codes. Mit Hays‘ moralischen Richtlinien hielt sich die Filmindustrie selber zu Zucht und Ordnung an.
«Some Like It Hot» hat alles: leidenschaftliche aussereheliche Küsse, flirtende Männer, Geschlechterverwirrungen – und Marilyn Monroe als Kuss-Lehrerin für den angeblich frigiden Millionär, den Tony Curtis ihr vorspielt.
Verschämt, aber revolutionär: «Guess Who’s Coming to Dinner» (1967)
Stanley Kramers moderner Hollywoodklassiker mit Sidney Poitier wagt sich an das Tabu des Rassismus zu einem Zeitpunkt, als zumindest die staatliche Segregation in den USA längst abgeschafft war. Die Tochter aus gutem Hause bringt ihren Verlobten zu den Eltern.
Sie hat ihnen aber vorher nicht gesagt, dass er Afro-Amerikaner ist. Dabei blieb auch der Film leicht verschämt. Den Kuss der beiden zeigte er in der Anfangssequenz – im Rückspiegel eines Taxis.
Neue Welten, neue Küsse: «Star Trek – Plato's Stepchildren» (1968)
Getreu den Wünschen des Erfinders von «Raumschiff Enterprise» brach die TV-Serie nicht nur intergalaktische Grenzen auf, sondern kämpfte auch gegen Rassismus. In dieser Episode küsste Captain James T. Kirk (William Shatner) seinen Lieutenant Uhura (Nichelle Nichols).
Für einige Amerikaner war das ein Aufreger. Die Szene galt lange als «first interracial kiss» am US-Fernsehen. Fernseh-Historiker haben unterdessen aber frühere Beispiele gefunden.
Auch Toons wollen geküsst werden: «Who Framed Roger Rabbit» (1988)
Der wahrscheinlich erste (Beinahe-)Kuss zwischen einem Schauspieler und einer Cartoon-Figur ereignete sich zwischen Bob Hoskins und der «Bombshell» Jessica Rabbit (gesprochen von Kathleen Turner, gesungen von Amy Irving).
Allerdings drückt Jessica Rabbit ihm zuerst seinen Hut aufs Gesicht statt ihrer Lippen – und lässt ihn beim zweiten Versuch an seiner Krawatte zurückschnellen.
Kuss-Klassiker ahoi! «Titanic» (1997)
Der Kuss zwischen Leonardo DiCaprio und Kate Winslet auf der Bugspitze der «Titanic» ist zu einem der grossen modernen Klassiker geworden. Gerade weil er bewusst mit der Lichtsetzung und der überirdisch isolierten Atmosphäre der beiden Liebenden an das klassische Hollywood erinnert.
Kopfüber verliebt: «Spider Man» (2002)
Zu einem weiteren modernen Klassiker wurde der Kuss im Regen zwischen Spider-Man (Tobey Maguire) und seiner Mary (Jane Kirsten Dunst). Er hängt kopfüber an seinem Spinnenfaden, sie rollt ihm sanft die unter Hälfte seiner Maske vom Gesicht und küsst ihn leidenschaftlich, ohne seine Identität zu kennen.
Küssen schockiert noch immer: «Brokeback Mountain» (2005)
Im Jahr 2005 brachte es Hollywood noch einmal fertig, konservative Amerikanern in Rage zu versetzen. Regisseur Ang Lee brach mit «Brokeback Mountain» die letzte Bastion der Männlichkeit und begleitete zwei Cowboys bei ihrem schmerzlichen Coming Out. Der erste Kuss im Zelt am Lagerfeuer wurde schnell zum Klassiker.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 26. Dezember 2017, 9 Uhr.