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Michel Houellebecq hautnah «Thalasso»: Wohltemperierter Witz über «die Schande Frankreichs»

Neu im Kino: Houellebecq, Depardieu und Stallones Lookalike treffen sich im Hotel. Ein filmischer Gag ohne echte Pointe.

Skandalautor Michel Houellebecq und Steuerflüchtling Gérard Depardieu stellen das dar, was die Franzosen «monstres sacrés» nennen: Kultisch verehrte Koryphäen, die zugleich mächtige Monster sind und als solche viel Angriffsfläche bieten.

«Ihr seid die Schande Frankreichs!» Diese pikante Beleidigung kriegen die zwei polarisierenden Promis in der Komödie «Thalasso» von einem anderen Hotelgast zu hören. Der Wortlaut ist zwar reine Fiktion aus der Feder von Autorenfilmer Guillaume Nicloux, doch der Inhalt recht wahrhaftig.

Von Nicloux darauf angesprochen, meinte Houellebecq: «Das ist nicht falsch.» Und Depardieu fügte an: «Es ist nicht unbedingt unsere Meinung. Aber es ist das, was wir für viele verkörpern. Darum ist es wahr.»

Raffinierte Melange der Realitätsebenen

Nicloux’ «Thalasso» ist die Fortsetzung eines vielbeachteten Films, der 2014 auf der Berlinale Premiere feierte: «L’enlèvement de Michel Houellebecq». Auch darin spielte Houellebecq eine leicht überzeichnete Version seiner selbst.

Nachinszeniert für den Spielfilm: der entführte Schriftsteller Michel Houellebecq mit zugeklebtem Mund.
Legende: In «L’enlèvement de Michel Houellebecq» wird der Skandalautor kurzerhand gekidnappt. Les Films du Worso

Sogar die damalige Story basiert auf einer realen Begebenheit: 2011 verschwand der renommierte Schriftsteller während einer Promotionstour plötzlich von der Bildfläche. Er sei gekidnappt worden, spekulierten die Medien. Diesen Faden nahm Regisseur Nicloux auf und spann daraus eine wilde Entführungsgeschichte.

«Thalasso» spielt fünf Jahre nach diesen abenteuerlichen Ereignissen. Aus den liebenswert unorganisierten Entführern sind längst Houellebecqs Freunde geworden. Richtig frei fühlt sich der Kettenraucher trotzdem nicht. Weil ihm seine besorgte Partnerin gerade eine Thalasso-Kur verordnet hat.

Wunderlicher Wellness-Wahn

Houellebecq hasst alles, was nach Wellness riecht: den Schlamm auf der Haut, das Grünzeug auf dem Teller und die Kälte-Schocks in der Kryo-Kammer.

Michel Houellebecq trägt komische Hosen im Rahmen einer Wellness-Behandlung.
Legende: Sieht bescheuert aus, soll aber gesund sein. Houellebecq staunt über sein Beinkleid. Wild Bunch

Köstlich, wie sich der Gesundheitsskeptiker trotzig gegen die absurd anmutenden Behandlungsmethoden sträubt. Doch Houellebecq wäre nicht Houellebecq, wenn er sich einfach so fremden Vorstellungen vom rechten Leben unterwerfen würde.

So gönnt er sich – trotz striktem Verbot – weiterhin die eine oder andere Zigarette im Freiluftbereich. Eine kleine Sünde, die er – welch Zufall! – schon bald mit einem anderen Hotelgast teilen kann: Gérard Depardieu.

Dick und Doof?

Der wohl berühmteste Bonvivant bittet Frankreichs berüchtigtsten Schreiberling sogleich auf sein Zimmer. Um gemeinsam ein paar Gläser Wein zu trinken, was natürlich ebenfalls nicht der Hausordnung entspricht.

Michel Houellebecq und Gérard Depardieu im Hotelzimmer.
Legende: Alkoholkonsum ist im Hotel streng verboten. Houellebecq und Depardieu kümmert's wenig. Wild Bunch

Dazu wird munter philosophiert. Meist ganz locker über göttlich Belangloses. Manchmal aber auch mit heiligem Ernst über Glaubensinhalte. Die angebliche Auferstehung des Fleisches nach dem Jüngsten Gericht entlockt Houellebecq sogar Tränen der Rührung.

Das kann man lustig finden. Oder verstörend. Auf jeden Fall wirft «Thalasso» sein Publikum auf das zurück, was es über Houellebecq und Depardieu zu wissen glaubt. Nicht primär, um dieses Bild zu brechen. Sondern um seinen zwei Hauptfiguren einen spielerischen Rahmen zu geben. Ein fiktives Gerüst, das ihnen erlaubt, ganz bei sich selbst zu sein.

Nackte Haut ohne Schenkelklopfer

Wie viel Spass dieses selbstverliebte Rollenspiel macht, entscheidet letztlich das Publikum: Je mehr man über Depardieu und Houellebecq weiss oder zu wissen glaubt, desto mehr hat man vom Kinobesuch.

Diese Informationen sind gewissermassen des Kaisers unsichtbare Kleider, welche die beiden Sagenumwobenen schmücken. Ohne sie ist ihr Anblick genauso wenig erbaulich wie die nackte Handlung.

Völlig unbekleidet ist übrigens auch Sylvester Stallone, der sich über einen Traum Houellebecqs allmählich in die Geschichte schleicht. Als er dann wirklich am Strand auftaucht, merken wir: Es ist nicht der Star, sondern bloss sein Double. Weil der echte Stallone gerade den neusten «Rambo» drehte, wie uns Nicloux versicherte.

Das ist, wie der sonderbare Film als Ganzes, zwar amüsant, aber beileibe kein Schenkelklopfer. Vielleicht sollten wir es darum als konsequent erachten, dass «Thalasso» eine befriedigende Schlusspointe fehlt.

Kinostart: 2.7.2020

Tagesschau vom 1. Juli 2020

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