Ein Urteil mit Signalwirkung: Das waren die Kommentare zum gestrigen Schuldspruch im Fall des Filmproduzenten Harvey Weinstein . Was bedeutet das Urteil für die deutschsprachige Film- und Theaterszene?
Der Schuldspruch ermutigt Betroffene, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren: Das ist die Hoffnung von Eva Hubert vom Vorstand der «Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt».
SRF: Hat das Urteil im Fall Weinstein auch eine Signalwirkung für die deutschsprachige Film- und Theater Branche?
Eva Hubert: Meine Hoffnung ist, dass das Urteil Betroffene ermutigt, nicht alles hinterzunehmen, sondern sich auch öffentlich gegen Fälle von sexueller Belästigung und Gewalt zu wehren.
Mit den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein begann Ende 2017 die #MeToo-Bewegung. Hat sie auch im deutschsprachigen Raum einen Bewusstseinswandel in der Film- und Theaterbranche bewirkt?
Meiner Meinung nach stehen wir noch ziemlich am Anfang. Immerhin konnte in Deutschland die «Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt» gegründet werden.
Wir haben es ja mit einem ungewöhnlichen Arbeitsfeld zu tun.
Das ist eine unabhängige, externe Stelle, an die sich Betroffene wenden können. Die Idee hatte der Schauspielerverband. Wenn wir sehen, wie viele Leute sich bei uns melden und ihre Fälle erzählen, ist das wirklich eine gute Sache.
Wie gross ist die Resonanz?
Wir haben am 1. Oktober 2018 angefangen und hatten bereits im ersten Jahr 183 Fälle. Je bekannter wir werden, desto mehr kommen dazu. Es läutet jeden Tag paar Mal das Telefon, und es kommen Menschen und beschweren sich.
Themis hat gerade eine Studie zu Machtstrukturen und sexueller Belästigung in der Film- und Theaterbranche veröffentlicht. Wie verbreitet sind Grenzüberschreitungen in diesem Arbeitsfeld?
Wir haben es ja mit einem ungewöhnlichen Arbeitsfeld zu tun. Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten mit ihrem Körper, und alle berichteten in den Interviews, dass die Grenzen nicht so klar definiert sind.
Es bräuchte in der Branche viel mehr Prävention.
Dazu kommt, dass es in der Branche recht familiär zugeht, zugleich gibt es grosse Konkurrenz und Abhängigkeiten. Besonders für AnfängerInnen ist oft nicht klar, ob etwas sexuelle Anmache ist oder einfach zum Beruf dazu gehört.
Diese komplexen Arbeitsstrukturen stellen alle fest. Man muss lernen, damit umzugehen.
Betroffene haben oft Angst, keine Jobs mehr zu bekommen, wenn sie sich beschweren. Braucht es strukturelle Veränderungen, um die Gefahr für sexuelle Übergriffe zu verringern?
Auf jeden Fall. Es bräuchte in der Branche viel mehr Prävention. Den Betroffenen verlangt es sehr viel Mut ab, sich zu beschweren.
Deshalb müssen auch die Führungsebenen sensibilisiert werden, damit sie aufpassen, ob es korrekt zugeht im Theater oder am Filmset. Bereits an den Schauspielschulen müsste man dafür eine Sensibilität entwickeln.
Sind die Institutionen bereit dafür?
Im Theaterbereich sind viele dafür bereit. Auch Produktionsfirmen und Sender suchen das Gespräch und wünschen sich, dass wir Präventionsangebote liefern.
Das scheitert im Augenblick am Geld. Kurz: Es gibt Hoffnungszeichen, aber wir stehen wirklich noch ganz am Anfang.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 25.02.20, 17:15 Uhr