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Neu im Kino «Brainwashed: Sex-Camera-Power»: Der verheerende männliche Blick

Regisseurin Nina Menkes wirft in ihrer Dokumentation «Brainwashed: Sex-Camera-Power» einen Blick auf 100 Jahre Filmgeschichte, in der Frauen visuell entmachtet werden. Dabei werden Meisterwerke wie Hitchcocks «Vertigo» oder Kultfilme wie Tarantinos «Once Upon A Time in Hollywood» nicht verschont.

«Männer bekommen die Slow Motion als Actionhelden. Frauen bekommen die Slow Motion als Sexobjekt». Nina Menkes Polemik über die unterschiedliche Darstellung von Frau und Mann in Filmen dokumentiert sie in «Brainwashed: Sex-Camera-Power» mit teilweise überraschenden Beispielen aus der Filmgeschichte.

Eine Gruppe Männer schauen mit lüsternem Blick in die Kamera.
Legende: Der männliche Blick: In der ganzen Filmgeschichte prägt er unsere Sicht auf Frauen, meint Regisseurin Nina Menkes. Im Bild: Ausschnitt aus «Metropolis» (1927) von Fritz Lang. «Brainwashed: Sex-Camera-Power» / Nina Menkes

Die US-Regisseurin und Autorin hat mehrere Filme zu gesellschaftlichen Tabus und politischen Kontroversen gedreht – zumeist aus weiblichem Blickwinkel. In «Brainwashed» konzentriert sich Nina Menkes nun auf sogenannte A-List-Movies. Also Filme, die hochwertig, qualifiziert und mit Preisen ausgezeichnet sind. Auch solche, die als Meisterwerke der Filmgeschichte gelten, wie «Vertigo» von Alfred Hitchcock oder Kultfilme wie Tarantinos «Once Upon A Time in Hollywood».

Mann blickt voyeuristisch durch einen Lattenzaun auf eine nackte Frau, die in den Pool steigt.
Legende: Auf Frauen wird (herab-)geblickt, Männer präsentieren sich. Der Film «Short Cuts» von Altmeister Robert Altman dient als Beispiel für den «Male Gaze». «Brainwashed: Sex-Camera-Power» / Nina Menkes

Der männliche Blickwinkel ist Standard

Was uns Menkes vorsetzt, ist stellenweise schwere Kost. Den Schwerpunkt legt sie auf die Kamera-Perspektive, den Blickwinkel, den die Kamera in den fraglichen Szenen einnimmt. Er ist praktisch immer männlich konnotiert und selten frei von Wertung. Die Subtilität der Kameraführung lässt dies in vielen Fällen auf den ersten Blick nicht erkennen.

Geschuldet ist dieser standardisierte männliche Blick («Male Gaze») nach Menkes’ Theorie, die im Film von Regisseurinnen, Professorinnen und Psychologinnen gestützt wird, der systematischen Untervertretung und Diskriminierung von Frauen in der Filmindustrie. Der «Male Gaze» ist im Filmschaffen die Norm.

Vortragsrednerin steht vor einer grossen Leinwand mit der Aufschrift «Sex und Power».
Legende: US-Regisseurin Nina Menkes seziert die Filmgeschichte in Einzelszenen und fokussiert auf den männlich konnotierten Blick, den «Male Gaze». Film: «Brainwashed: Sex-Camera-Power» / Regie: Nina Menkes

Der «Male Gaze»: im Film und im wirklichen Leben

Menkes’ These führt aber weiter: Die diskriminierende und sexualisierte Darstellung von Frauen im Film wirkt sich auf das reale Leben aus. Will heissen: Werden Frauen auf der Leinwand ständig abgewertet, wird das als normal erachtet und geschieht folglich ebenso im echten Leben.

Auch dies bestätigen Expertinnen im Film. Die Darstellung von Frauen im Film präge zudem auch die weibliche Selbstwahrnehmung seit Generationen, so die Filmemacherin. Es habe eine faktische Entmachtung des Weiblichen stattgefunden.

Die Filmindustrie kennt nicht nur weibliche, sondern auch männliche Sexsymbole. Gezeigt werden im Dokumentarfilm etwa Brad Pitt oder Tom Cruise mit gestähltem, nackten Oberkörper.

Mann mit nacktem Oberkörper steht auf einem Dach.
Legende: Wird der Mann (halb-)nackt gefilmt, dann ist er dabei beschäftigt – wie das Beispiel von Brad Pitt als sexy Dachdecker in Tarantinos «Once Upon A Time in Hollywood» zeigt. Bei Frauen bleibt es oft beim Abschwenken von Körperteilen. «Brainwashed: Sex-Camera-Power» / Nina Menkes

Der Unterschied in der Inszenierung zwischen Männern und Frauen: Bei Frauen werden häufig Körperteile wie Po oder Decolleté in Nahaufnahme abgeschwenkt, während sie passiv dastehen oder liegen. Während die Männer zwar oben-ohne, aber vorwiegend in Ganzkörperaufnahmen in aktiven Rollen – etwa als Dachdecker – gezeigt werden. Auf die Frau wird (herab-)geblickt, der Mann präsentiert sich.

Dass sich seit ein paar Jahren eine Gegenbewegung etabliert mit Filmemacherinnen und – zumeist jungen – Filmemachern, thematisiert der Film erst gegen Schluss. Ohnehin kann der Film mit den ausgewählten Beispielen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dennoch regt er zum Nachdenken an und gewährt auf Meisterwerke der Kinogeschichte einen neuen, kritischen Blick.

Kinostart, 2.11.2023

SRF 1, 10vor10, 2.11.2023, 21:50 Uhr

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