Die Welt ist nicht so, wie sie die Eltern geschildert haben. Die Eltern wissen das schon lange. Darum behalten sie die Deutungsmacht. Auf diese drei Sätze könnte man den Film «Sohn meines Vaters» runterbrechen. Aber eins nach dem anderen.
Zum 60. Geburtstag seines Vaters nimmt der junge Grafiker Simon (Dimitri Stapfer) zum ersten Mal seine Freundin mit. Seine Eltern kümmert’s wenig. Die sind mit sich selbst beschäftigt.
Mutter Agnes (Sibylle Canonica) ist angespannt und wütend: Vater Karl (Dani Levy), erfolgreicher Psychiater und Lebenserklärer, hat ohne falsche Scham auch seine Praxishilfe und Geliebte Sonja (Katja Kolm) zum Fest eingeladen.
Emotionale Erpressung
Ein paar Tage später drängt die Mutter den Sohn, die Transkription des neuen Buches seines Vaters zu übernehmen. Der Grund: Sie will mit ihrem Mann in den Urlaub fahren, weit weg von der Geliebten.
Eine klassische emotionale Erpressung: Simon kommt zurück ins elterliche «Irrenhaus», das er hinter sich lassen wollte.
Dort trifft er auf die Geliebte seines Vaters. Erst geraten die beiden aneinander, dann fliegen die Funken – allen elterlichen Interventionen per Telefon zum Trotz.
Hürde gemeistert
Jeshua Dreyfus hat sich viel vorgenommen nach seinem erfreulichen Low-Budget-Debüt «Halb so wild» vor sechs Jahren. «Sohn meines Vaters» ist eine ausgefeilte Familien-Dramödie, eine Sitcom im Bewegungswirbel, eine Screwball-Comedy mit Höllensturz.
Jeshua Dreyfus hat die Hürde zum Zweitling gut gemeistert. Der Film hat Zug, tragikomische Energie, gekonnte Überzeichnungen durchs Band.
Dani Levy ist eine überraschend ideale Besetzung für diesen dauerlächelnden, charismatischen Kotzbrocken von einem Vater. Ein Mann, der für jede Reaktion auf seinen Egoismus eine Analyse liefert, die ihn selbst entlastet.
Ein wackeliger Balanceakt
Was «Sohn meines Vaters» von seinen grossen Vorgängern und allfälligen Vorbildern zwischen Ernst Lubitsch und Billy Wilder unterscheidet, sind kleine Unebenheiten. Dreyfus hat noch nicht die Souveränität, den Balanceakt zwischen Tragödie und Komödie zu meistern.
Das zeigt sich in den grossen Zügen, dem Gefälle zwischen purem Drama und reiner Karikatur. Es zeigt sich in der Binnendynamik zwischen den Schauspielerinnen und Schauspielern und ihrem Text. Da gibt es Sätze, die nach Drehbuch klingen, aber auch Momenten, die einen anspringen.
So sieht man Simon einerseits trocken Sätze aufsagen. Ein anders Mal spürt man seine Naivität und Herzensgüte in aller Perfektion in jedem Gesichtszucken und jedem Wort.
Respektabel, unterhaltsam, bitter
Manchmal werden Bilder zu stark ausgespielt. Etwa, wenn sich Simon im Bett mit der Geliebten seines Vaters an deren Brust festsaugt wie ein Baby bei der Mutter. Nicht einmal, sondern zweimal, somit wird das Erklärmuster des Vaters vorweggenommen.
«Sohn meines Vaters» ist nicht ganz so souverän, nie ins Stocken zu geraten. Aber als Entwicklungsschritt vom Low-Budget-Anfang zur – für Schweizer Verhältnisse – grossen Kiste ist nicht nur respektabel, sondern auch sehr unterhaltsam. Und bitter.
Am Ende sind wir wieder in dieser Welt, die sich den Schilderungen der Eltern anpasst, in einer Möbius-Schleife, aus der es kein Entrinnen gibt. Weil die Ideale und die Kompromisse nie miteinander zu versöhnen sind. Die einen richten sich damit ein. Die anderen richten sich damit zugrunde.
Kinostart: 14.3.2019