Romantisch ist nur schon die Kulisse: Auf dem weitläufigen Platz vor dem Gateway of India in Mumbai bei sonnigem Wetter spricht Rafi (Nawazuddin Siddiqui) die angehende Wirtschaftsprüferin Miloni (Sanya Malhotra) zum ersten Mal an.
Rafi geht hier seinem Beruf nach: Er schiesst Fotoporträts von Touristen vor der historischen Sehenswürdigkeit und händigt die Souvenirs gegen Bargeld aus.
Rafi preist seine Dienstleistung immer mit den gleichen Sätzen an; und es sind auch seine ersten Worte an Miluni: «Wenn Sie dieses Foto in ein paar Jahren betrachten, werden sie die Sonne auf ihrem Gesicht spüren, den Wind in Ihrem Haar, die Stimmen um Sie herum. Wenn Sie kein Foto machen lassen, wird das alles weg sein.»
Die Ironie: Weder Rafi noch Miluni wissen zu diesem Zeitpunkt, welche Wahrheit in diesen Floskeln steckt.
Nur so tun als ob?
Miluni lässt sich fotografieren – bezahlt aber nicht, weil sie abgelenkt wird. Dank einem Drehbuchkniff findet Rafi später heraus, wo er Miluni in der Millionenstadt wieder ausfindig machen kann.
Dabei geht es ihm freilich gar nicht um die unbezahlten fünfzig Rupien: Die Rädchen im Romantic-Comedy-Getriebe haben sich bereits gedreht, und Rafi hat ein ganz anderes Anliegen.
Ein handfestes Problem sogar. Weil er seine Grossmutter davon abhalten wollte, im Heimatdorf unentwegt nach Heiratskandidatinnen für ihn zu suchen, schrieb Rafi ihr einen Brief: Er sei in Mumbai bereits glücklich vergeben. In den Umschlag steckte er Milunis Bild.
Die Grossmutter hat sich dadurch allerdings nicht beruhigen lassen, im Gegenteil: Sie sitzt bereits im Zug, weil sie nach dem Rechten sehen will. Daher bittet Rafi Miluni, sich einen Tag lang als seine Partnerin auszugeben.
Wenn Arm und Reich sich finden
Der Humor im Film «Photograph» ist weit diskreter und feinfühliger, als es diese Ausgangslage erwarten lassen würde. Der Autor und Regisseur Ritesh Batra («The Lunchbox») und sein Cast arbeiten mit einer Situationskomik der sanften Zwischentöne.
Im Vordergrund steht, dass die Figuren lebensecht, glaubwürdig und nahbar bleiben. Ergibt sich kein Humor aus ihren natürlichen Impulsen, dann bleibt er eben weg.
Im Interview sagt Batra, er habe sich an den Plots der Bollywood-Filme der 80er- und 90er-Jahre orientiert: «Es gab dort immer einen armen Mann und eine reiche Frau, die zueinander fanden – obwohl sich die sozialen Klassen im richtigen Leben kaum durchmischen. Daher hat es mich gereizt, einen solchen märchenhaften Plot in einem möglichst zeitgenössischen Setting zu verankern.»
Sehnsucht als Essenz
Ritesh Batra fügt hinzu: «In meinen Filmen geht es letzlich immer um Sehnsucht. Menschen, die sich stark nach etwas sehnen, können je nachdem traurige und lustige Dinge tun. Aber ihre Sehnsucht macht es für mich erst interessant, von ihnen zu erzählen.» Tatsächlich schafft es «Photograph» mit erstaunlicher Präzision, das diffuse, melancholische Gefühl des Verliebtseins zu fassen
In diesem Sinne ist «Photograph» eine herzerwärmende, sommerliche Fantasie, in der bei allen Liebesdingen auch für viel Abwechslung gesorgt ist.
Neben dem Bettelfotografen, der Wirtschaftsauditorin in spe und der resoluten Grossmutter treten auf: Ein geschwätziger Taxifahrer, ein vergnügter Arzt, ein verschollener Cola-Fabrikant und sogar ein gutmütiges Gespenst. Man erfährt zudem endlich, was Kulfi und Softeis voneinander unterscheidet.
Kinostart: 11.7.2019