«Diese Aufnahmen wird das Volk nie zu sehen bekommen», zischt ein von Zigarettenrauch umhüllter, finsterer Nazi aus dem Halbdunkel heraus. Für alle, die im Geschichtsunterricht nicht geschlafen haben, ist klar, wer da spricht: Es muss Joseph Goebbels sein, der als Propagandaminister zugleich oberster Zensor im Dritten Reich war.
Auch die Szene, die Goebbels ein Dorn im Auge ist, dürfte die Mehrheit des Kinopublikums kennen: Es ist eine Aufnahme aus dem April 1945, in der Hitler mit zittriger Hand minderjährige Soldaten für ihren Kampf um das längst verlorene Berlin ehrt.
«Der Führer ist nur noch ein Schatten seiner selbst», rechtfertigt Goebbels' Adjutant die Bilder und fügt an: «Das ist schlimm, aber wahr.» Was seinen Chef zum donnernden Schlüsselsatz provoziert: «Was wahr ist, bestimme immer noch ich!»
Im Bunker nichts Neues
Viele Dialoge, erläutert eine Tafel zu Beginn, sollen Wort für Wort so geführt worden sein. Einiges wurde gar direkt Goebbels' Tagebüchern entnommen. Das mag stimmen, bedeutet aber auch: Allzu vieles hat man schon anderswo gesehen und gehört.
Besonders «Der Untergang» , der sich bereits vor 20 Jahren um eine Innensicht der Nazi-Elite bemühte, kommt einem beim Schauen von «Führer und Verführer» immer wieder in den Sinn. Zumal schon das Bunkerdrama die Beziehung zwischen Hitler und seinem engsten Vertrauten ins Zentrum gerückt hatte.
Goebbels' Gier nach Hitlers Hybris
Nur was die Nachahmung der berühmt-berüchtigten Personen betrifft, unterscheiden sich die zwei Filme deutlich: Bruno Ganz versuchte, Hitlers Wahnsinn in «Der Untergang» mit hysterischen Wutanfällen spürbar zu machen.
Fritz Karls österreichisch gefärbter Duktus gleicht dagegen stark der einzig überlieferten Privataufnahme Hitlers. Dass dieser abseits der Bühne wie ein Märchenonkel klingt, mag irritieren, ist aber historisch durchaus akkurat.
Weit weg vom verbrecherischen Vorbild bewegt sich Robert Stadlober mit seiner Goebbels-Interpretation. Der Österreicher deutet sowohl den rheinischen Dialekt, als auch das auffällige Humpeln des Chefdemagogen nur an. Stattdessen läuft Stadlobers forcierte Mimik über zwei Stunden lang auf Hochtouren: Diesem Goebbels sieht man den Wahnsinn – ein toxischer Mix aus Besessenheit, Machthunger und Wollust – sofort an.
Die Zeit auf dem Set sei wie ein «manischer Rausch» gewesen, meinte Stadlober nach dem Dreh: Ein Albtraum, aus dem er erst nach 24 Tagen wieder erwachte. Sprich: Beim Versuch, den zweithöchsten Nazi zu spielen, übermannte ihn die Faszination fürs Böse.
Genau darin liegt die Krux der Sache. Das Publikum folgt durch die Fokussierung auf Goebbels' blinde Begeisterung für Hitler den beiden Missetätern auf dem Fusse.
Geschichte im Plauderton
«Führer» und «Verführer» dominieren die grausliche Geschichtslektion fast von A bis Z. Durchbrochen wird die Täterperspektive nur selten: Wenn Joachim A. Lang zwischen den Spielfilmszenen Holocaust-Überlebende wie Margot Friedländer zu Wort kommen lässt.
Als Mahnmal sind diese Interviews Gold wert. Denn ohne diese könnte man – eingelullt vom Schmierentheater der Titelfiguren – glatt vergessen, welch reale Folgen deren Hybris tatsächlich hatte.
Eine neue Perspektive liefert «Führer und Verführer» indes nicht. Stattdessen präsentiert der Film stolz Details aus Goebbels’ Liebesleben, welche die Tonalität endgültig ins Triviale kippen lassen.
Kinostart: 22.8.2024