«Looking for Oum Kulthum» beginnt mit einer kurzen Einführung und einem Casting. Die iranische Regisseurin Mitra ist von männlichen Kollegen umgeben, währenddem sie mit der Kandidatin spricht.
«Dein Name?»
«Ghada»
«Sprichst du Englisch?»
«Ein wenig.»
«Okay, sing erst mal eins deiner Lieblingslieder von Oum Kulthum. Danach kannst du ein paar Zeilen lesen.»
Ghada schliesst die Augen und fängt an zu singen. Tiefe und lange, klare Töne mit kurzen Vibrationen fliessen über ihre Lippen. Mitra blickt auf und weiss sofort, dass sie ihre Hauptdarstellerin gefunden hat. Ghada wird in ihrem Film die legendäre ägyptische Sängerin Oum Kulthum spielen.
Ein Film über das Filmemachen – aus weiblicher Sicht
Der Start macht Hoffnung. Doch kaum hat der Dreh begonnen, wird Mitra bewusst: Dies wird ein Kampf. Weil sie sich als iranische Frau gegen die Normen einer patriarchalen Gesellschaft durchsetzen muss.
Daneben macht sie sich aber auch selbst extrem viel Druck. Weil sie der Grösse von Oum Kulthum gerecht werden will. Die Ägypterin wird noch heute von vielen Menschen als Nationalheilige verehrt.
Ihr Ruhm im Nahen Osten ist vergleichbar mit dem von Maria Callas oder den Beatles im Westen. Aus all diesen Gründen zweifelt Mitra schon bald an ihrer eigenen Kunst.
Lichtfigur des Orients
Das Besondere an Oum Kulthum war, dass sie Menschen – egal ob arm oder reich – zusammenbrachte. Ihre Stimme gab dem Volk Hoffnung.
Und trotz politischen Konflikten waren sich selbst Ägyptens Nachbarn in einem einig: Sie alle liebten Oum Kulthum und ihren fast hypnotischen Gesang. Zu ihrer Beerdigung im Februar 1975 versammelten sich mehrere Millionen Trauernde.
Shirin Neshat, die Regisseurin von «Looking for Oum Kulthum», wollte ursprünglich einen biographischen Film über diese Ikone drehen. Drei Jahre lang arbeitete sie an Skripts für das geplante Biopic, bevor sie diese Idee verwarf.
Stattdessen begann sie, ihre eigenen Kämpfe als Filmemacherin ins Zentrum zu stellen. Weil ihr Film Universelles über die gesellschaftliche Stellung von Frauen im Nahen Osten erzählen sollte.
Kämpfende Künstlerin
Die Iranerin Shirin Neshat ist kein Neuling in der Filmwelt. Als feministische Videokünstlerin und Fotografin ist ihr Name nicht nur Insidern ein Begriff.
In ihrer visuellen Kunst stellt sie oft nackte Körperteile dar, die mit Schriftzügen in Farsi überzogen sind. Fast immer thematisiert sie dabei die politische Lage von Frauen in der muslimischen Welt. Im Nahen Osten ist ihre Kunst verpönt. Deshalb lebt Shirin Neshat bereits seit Jahrzehnten im liberalen New York.
2009 erhielt die 61-Jährige für ihren ersten Spielfilm «Women Without Men» den Regiepreis der Filmfestspiele von Venedig. Darin erzählen vier Iranerinnen von ihren Erlebnissen während des Militärputschs von 1953.
Raffiniertes Selbstportät
Mit «Looking for Oum Kulthum» durfte Shirin Neshat 2017 erneut nach Venedig reisen. Dort erklärte sie, wie wichtig ihr es sei, ihrer Heimat eine Stimme zu geben: «Ich möchte für mein Volk sprechen, auch wenn ich nicht in mein Land zurückkehren darf.»
Der Kniff, einen Film im Film zu machen, hat die Arbeit für Regisseurin Shirin Neshat nach eigener Aussage vereinfacht. Weil sie damit die schwierige Aufgabe umging, sämtliche Facetten der ägyptischen Ikone historisch akkurat darzustellen.
Das hätte man im Nahen Osten einer iranischen Frau, die kein Arabisch spricht, sowieso nicht zugetraut. In Neshats feinsinnig konstruiertem Film wird die Suche nach der sagenumwobenen Gesangslegende so zu einer autobiografischen Suche nach sich selbst.
Kinostart: 21.6.2018