Die schüchterne Robin (Grace Glowicki) arbeitet in einer Pfirsich-Verpackungsstation. In Montague, wo sie lebt, dreht sich alles um die pelzige Frucht. Die fiktive kanadische Kleinstadt lebt von deren Anbau und Verkauf.
Eines Tages entdeckt Robin etwas ziemlich Ekliges in einem Pfirsich: einen schwarzen Käfer. In Robins Gesicht erkennt man sofort grosse Beunruhigung.
Plantagen unter Quarantäne
Warum die junge Frau so heftig auf das Insekt reagiert, erzählt Regisseurin Sophie Jarvis beiläufig, aber nicht minder eindringlich. Robins Familie hat vor einiger Zeit ihre Plantage wegen einer Mottenplage verloren.
Das erfahren wir durch kurze Dialoge, etwa, als Robin den Käfer besorgt dem Mann von der Lebensmittelinspektion zeigt.
Robin muss das Problem selbst in die Hand nehmen. Ihr Chef Dennis vertröstet sie nur und möchte nicht, dass die Gemeinde davon Wind bekommt.
Die unaufgeregte Erzählweise zieht sich durch den ganzen Film – und trotzdem wird immer spürbar, was hier auf dem Spiel steht.
Wegen Robins Fund werden die Plantagen schliesslich unter Quarantäne gestellt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter fürchten um ihre Jobs und geben dafür Robin die Schuld.
Realistische Geschichte, surreal inszeniert
Die schweizerisch-kanadische Regisseurin Sophie Jarvis taucht ihre einfache, realistische Geschichte in eine surreale Stimmung. So sind die sinnlichen Aufnahmen der Pfirsich-Plantagen mit unheimlicher Musik unterlegt.
Und immer wieder passieren sonderbare Dinge. Robin findet beim Kochen ein Auge in einem Ei oder beobachtet einen Wagen, um den tausende Insekten schwirren. «Until Branches Bend» fühlt sich zeitweise an wie ein Fiebertraum. Aber auch die fantastischen Elemente fügen sich ungezwungen in die Geschichte ein.
Montague ist überall
Die Geschichte könnte sich irgendwo abspielen. Die Tatsache, dass «Until Branches Bend» auf Film gedreht wurde, verleiht dem Werk etwas Zeitloses. Damit wird betont: Hier geht es um etwas Universelles.
Sophie Jarvis macht ausgehend von etwas Kleinem – einem Käfer und einem Pfirsich – einen Kommentar über das Grosse: die Auswirkungen kapitalistischer Landwirtschaft. Und sie zeigt, wie komplex das Problem ist.
Profit über alles
Eine Szene bei einer Versammlung der Gemeinde im Rathaus von Montague zeigt die Fronten. Ein Mann warnt vor den finanziellen Gefahren, die ein Erntestopp bedeuten würde. Eine ältere Arbeiterin schreit, es würde sich sowieso niemand für die Pflückerinnen interessieren, es ginge nur um den Profit.
Eine andere Frau sieht die Quarantäne als Chance, die schädliche Landwirschaftspraxis zu überdenken. Die Menschen seien schliesslich nicht die einzigen Lebewesen, die die Gegend bewohnen.
Robin zieht mit ihrer gut gemeinten Warnung schliesslich den Unmut der Gemeinde auf sich, wird bedroht und ausgegrenzt. Und ihr Chef Dennis lässt sie im Stich. Er behauptet, sie hätte ihm den Käfer nie gezeigt – eine Lüge.
Leichte Kapitalismuskritik, coole Heldin
«Das ist absurd!», erwidert Robin vor der gesamten Gemeinde – und als Zuschauerin ist man erstaunt und erfreut. Die anfangs etwas wunderliche, unsichere Robin findet zu immer mehr Stärke.
Denn darum geht es in «Until Branches Bend» auch: Es ist die Geschichte einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und zur atypischen Heldin einer leisen Kapitalismus-Kritik wird.
Kinostart: 13.9.2023