Er gehört zu Silvester wie Tischbombe und Feuerwerk: «Dinner for One», der 1963 erstmals ausgestrahlte, 18-minütige Sketch, der seither so oft wiederholt wurde, dass er zu den weltweit am häufigsten wiederholten TV-Produktionen gehört.
Dass im Streamingzeitalter, in dem ständig nach wiederverwertbaren Marken gesucht wird, jemand auf die Idee kommt, die Vorgeschichte zu diesem Happening zu erzählen, überrascht nur bedingt. Dass «Miss Sophie – Same Procedure as Every Year» aus der 18-minütigen Vorlage gleich vier Stunden neues Material schöpfen möchte, schon eher.
Vier Verehrer und jede Menge Chaos
Tatsächlich bemüht sich die Serie aber nur zu Beginn, Verbindungen zur Vorlage herzustellen: Keine fünf Minuten vergehen, bis ein Butler über einen Tigerkopf stolpert, kurz darauf fallen die Namen Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom ein erstes Mal – jene vier Gäste, die Miss Sophie überlebt, Jahrzehnte später aber trotzdem immer wieder zu ihrem Geburtstag eingeladen werden.
«Miss Sophie» plagen andere Probleme: Seit ihre Eltern mit der Titanic untergegangen sind, schwindet das Familienvermögen, die Bank droht mit der Pfändung ihres Anwesens. Darum lädt Sophie vier Verehrer – die zukünftige Geburtstagsrunde – ein, die nun um ihr Herz konkurrieren dürfen. Oh, und haben wir schon erwähnt, dass sie nebenbei einen verbotenen Flirt mit Butler James führt?
Und spätestens während der fünften Episode, wenn Sophie und ihre Verehrer zu einem Kurzurlaub nach Frankreich aufbrechen, fragt man sich: Was genau hat das mit «Dinner for One» zu tun?
Die Antwort: nicht viel. Weder filmisch – vom Schwarzweiss-Bühnenstück zur austauschbaren Streaming-Digitalästhetik – noch vom Genre her. «Miss Sophie» möchte in erster Linie eine «Downton Abbey»-mässige Liebesgeschichte sein. Zudem gilt es in der zweiten Hälfte einen Agatha-Christie-inspirierten Mordfall aufzuklären.
Auch humoristisch sorgt die Serie eher für Augenrollen als für Zwerchfellschmerzen. Der fiese Bankier, der Miss Sophie die drohende Pfändung überbringt, heisst «Thinwhistle» – übersetzt: Dünnpfiff. Nur falls noch nicht klar war, auf welchem Humorlevel wir uns hier befinden.
Schauspielerisch wird – abgesehen von der charmanten Präsenz der Hauptdarstellerin Alicia von Rittberg – ebenfalls nur Magerkost geboten. Die vier Verehrer (ein Franzose, ein Deutscher, ein Amerikaner, ein Brite) werden von deutschen Schauspielern verkörpert. Gottseidank hat sich dabei nur Moritz Bleibtreu (Mr. Pommeroy) dafür entschieden, seine Rolle mit einem nervigen Akzent zu spielen.
Kein neuer Klassiker
So lässt sich «Miss Sophie» als Fehlschlag verbuchen. Nicht, weil die Serie den heiligen Kanon des Originals entweiht, sondern weil sie – wie viele nachträglich erdachte Vorgeschichten – Antworten auf Fragen liefert, die niemand je stellte.
Dass das Original nie den Eindruck erweckte, Miss Sophie, ihr Butler und ihre Freunde hätten sich bereits in jungen Jahren gekannt und gemeinsam einen leichtfüssigen Krimi erlebt, wäre noch zu verschmerzen. Schwerer wiegt, dass die Serie nicht versteht, warum «Dinner for One» zum Klassiker wurde – und nichts liefert, was den Wunsch wecken würde, die Serie künftig gemeinsam mit dem Original jeden Silvester zu schauen. Ausser vielleicht, man hat ähnlich viele Schnäpse intus wie Butler James.