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Trailer: «Emma»
Aus Kultur Extras vom 19.03.2018.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 37 Sekunden.
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Schweizer Filmpreis Mit einer blinden Frau sehen lernen

Silvio Soldinis neuer Spielfilm «Emma» ist ein kluges Werk über den Alltag einer blinden Frau. Wäre da bloss nicht die unsympathische männliche Hauptfigur.

Der italienisch-schweizerische Filmemacher Silvio Soldini ist seit seinem Grosserfolg mit «Pane e tulipani» (2000) bekannt für subtile Beziehungsfilme mit leisem Humor.

Weniger bekannt ist im deutschen Sprachraum, dass Soldini auch regelmässig Dokumentarfilme inszeniert. 2013 porträtierte er in «Per altri occhi» mehrere blinde Menschen, zeigte sie bei ihren teils erstaunlichen Hobbies, in ihrem Alltag.

In «Emma» (bzw. «Il colore nascoto delle cose», wie der Film im Original heisst) verarbeitet Soldini diese positiven Erfahrungen nochmals in Spielfilmform. Der Kontakt mit blinden Menschen inspirierte ihn zu einer fiktiven weiblichen Figur, die trotz ihrer Blindheit selbständig als Osteopathin arbeitet, und die auch ihr restliches Leben mit einer bewundernswerten Unabhängigkeit meistert.

Glaubwürdige Golino

Die bekannte italinienische Darstellerin Valerio Golino schlüpft in die Haut von Emma. Sie studierte vorab die Bewegungsabläufe und die Strategien blinder Personen und wirkt entsprechend glaubwürdig in ihrer Rolle.

Diese starke Figur war der Ausganspunkt Soldinis: Er wollte eine selbstbewusste blinde Frau zeigen, die sich partout nicht in die Opferrolle drängen lässt. Dieser Aspekt ist der beste Teil seines Films.

Spannend ist auch der Plot, den sich Soldini rund um diese Figur ausgedacht hat: Emma beginnt eine Affäre mit einem 40-jährigen Werber – also konkret mit einem Menschen, der sich beruflich mit visuellen Stimuli beschäftigt – und bringt es fertig, den leichtlebigen Schwerenöter an sich zu binden. Der ironische Pitch also, eingedampft auf seine Essenz: Eine blinde Frau öffnet einem sehenden Mann die Augen.

Eine Frau steht vor einem Mann. Sie schauen auf die linke Seite.
Legende: Die blinde Emma (Valeria Golino) und Teo (Adriano Giannini). Filmcoopi

Fehler im System

Das klingt auf dem Papier nach einer unterhaltsamen Liebeskomödie mit klassischer Schematik. Einen solchen Stoff hätte man in den Dreissigerjahren mit Katherine Hepburn und Cary Grant verfilmen können.

Soldini nutzt das Potenzial seiner Ausgangslage auch zur Entfaltung seines Talents: Er würzt den Film mit unaufdringlichen Gags, pointierten Dialogen, dramatischen Wendepunkten und vielen originellen Nebenfiguren. Aber er macht dabei auch einen entscheidenden Fehler.

Unerträglicher Unsympath

Die männliche Hauptfigur Teo, mit viel Verve gespielt von Adriano Giannini, ist problematisch konzipiert. Silvio Soldini hat seinen Teo bewusst so angelegt, dass in dessen emotionaler Entwicklung viel Luft nach oben besteht.

Aber er geht damit zu weit und zeigt uns in der ersten halben Stunde des Films einen völlig ichbezogenen Mann, der nur schwerlich Sympathien weckt.

Eine Frau (oben ohne) streicht einem Mann mit der Hand über das Gesicht. Sie hält ihr Oberteil in der Hand.
Legende: «Eine blinde Frau öffnet einem sehenden Mann die Augen» – Das ist die Essenz von Silvio Soldinis Liebesgeschichte. Filmcoopi

Teo ist beruflich erfolgreich, aber er wirkt in vielerlei Hinsicht verantwortungslos. Seine Freundin betrügt er hemmungslos, seine Familie hält er krampfhaft von sich fern, seine Werbeideen vertritt er mit einem überdimensionierten Selbstbewusstsein, und seine hemmungslosen Flirtversuche beim anderen Geschlecht grenzen schon fast an sexuelle Belästigung.

Teo, der Schürzenjäger

Natürlich bessert sich Teo im Verlauf des zweistündigen Films, je länger er mit der blinden Emma in Kontakt ist. Enorm sogar. Dumm dabei ist nur, dass diese Mutation zu einem emotional geerdeten Menschen erst zu einem Zeitpunkt einsetzt, an dem man ihn schon zu lange als Charakterschwein erdulden musste und sich nicht mehr für ihn interessiert.

Stattdessen möchte man der blinden Emma zurufen, dass sie mit einem Mann unterwegs ist, der hinter ihrem Rücken bei seinem Arbeitskollegen damit prahlt, dass er die schöne Blinde ins Bett bekommen hat. Spätestens hier liegt der Film völlig quer mit seiner Absicht: Man möchte als Zuschauer ihr, und nicht ihm, die Augen öffnen.

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