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Nyborg umringt von Journalisten
Legende: Nyborg als Dänemarks erste Premierministerin in «Borgen». SRF/DR

TV-Serien: Kult und Kultur Heisse Serien aus dem kalten Norden

Abwechslung zur grossen bunten US-Serienwelt findet der Fan im Norden Europas. Ob Krimis bekannter Autoren oder TV-Auftragsproduktionen – die in Skandinavien produzierten Top-Serien dienen vermehrt auch den Amerikanern als Inspirationsquelle.

Erwähnte Serien im Programm von SRF

Keine Lust mehr auf «Desperate Housewives» und «Grey’s Anatomy»? Genug von «Criminal Minds», «CSI» und «The Mentalist»? Es gibt sie, die Alternative zu den Dutzendgesichtern, zur glamourös ausgeleuchteten und perfekt durchgestylten Welt der US-Erfolgsserien: Die Produktion von Fernsehserien in Europa ist qualitativ hoch stehender und abwechslungsreicher denn je. Vor allem im hohen Norden entstehen Serien und Mehrteiler mit einer eigenständigen Handschrift, die ein internationales Publikum erreichen – und nicht selten auch für US-Produktionen als Inspirationsquelle dienen.

Dass Kälte, Schnee und Dunkelheit idealer Nährboden für spannende Geschichten voller Gewalt und Tod zu sein scheinen, wissen Krimi-Fans schon lange: Beck, Wallander, Varg Veum - die Liste der knorrigen, eigenbrötlerischen nordischen Ermittler ist lang. Häufig basieren dabei die ersten Fälle direkt auf Büchern bekannter Krimi-Autoren, dann werden sie aus den Buchvorlagen weiterentwickelt. Lesende und fernsehschauende Krimi-Fans werden damit gleichermassen bedient. Das bekannteste Beispiel ist wohl Stieg Larssons «Millennium»-Trilogie, die zuerst als schwedische TV-Serie Furore machte, bevor US-Regisseur David Fincher den ersten Teil fürs Kino mit Starbesetzung adaptierte (Teil 2 und 3 sind in Hollywood in Planung). Doch seit einiger Zeiten mischen auch originäre Fernsehdrehbücher aus Skandinavien die internationale Serien-Welt auf.

Ein Strickpulli wird Kult

Da wäre etwa die dänische Kommissarin Sarah Lund, gespielt von Sofie Gråbøl, in «Forbrydelsen» (Deutscher Titel: «Kommissarin Lund – Das Verbrechen»). Die taffe dänische Ermittlerin, die Tag und Nacht im immer gleichen Strickpulli ermittelt und Sohn und Freund ob ihrem Job vernachlässigt, hat sich längst in die Herzen der Krimi-Fans weltweit gespielt. Ein einziger komplexer Kriminalfall beschäftigt sie jeweils während einer Staffel – und das Publikum fiebert bis zur letzten Sekunde mit.

Die dänische Kommissarin Sarah Lund, gespielt von Sofie Gråbøl.
Legende: Die dänische Kommissarin Sarah Lund, gespielt von Sofie Gråbøl. DR

Die von der öffentlich-rechtlichen dänischen Rundfunkanstalt DR produzierte Krimi-Serie, von der die 2. Staffel eben auf SRF 1 gezeigt wurde und die 3. Staffel in Dänemark bereits angelaufen ist, wurde mit Preisen überschüttet und hat in ihrer Heimat geradezu einen Hype ausgelöst. BBC 4 zeigte sie im Originalton mit Untertiteln – eine höchst seltene Ehre. Die Serie erhielt den internationalen Emmy und triumphierte beim britischen Bafta-Television-Award 2010 immerhin über US-Serien-Giganten wie «Mad Men», «Boardwalk Empire» und «Glee». Ein amerikanisches Remake liess nicht lange auf sich warten: Der Seriensender AMC adaptierte den Stoff unter dem englischen Titel «The Killing».

Es ist etwas faul im Staate…

Es müssen aber nicht immer Krimis sein, schliesslich ist die dänische Polit-Serie «Borgen» (deutsch: «Gefährliche Seilschaften»), ebenfalls von DR produziert, bei Fans und Presse gerade in aller Munde (und war ebenfalls bis vor kurzem auf SRF 1 zu sehen). Die ebenfalls taffe Premierministerin Birgitte Nyborg muss darin gegen die Opposition von rechts, die Angriffe der Presse und Verschwörungen aller Arten kämpfen und droht gleichzeitig wegen ihres Einsatzes und Ehrgeizes Mann und Familie zu verlieren.

Natürlich kann man als Serienfan nicht umhin, den Vergleich mit DER ultimativen Polit-Serie der letzten Jahre zu suchen: «The West Wing». Doch auch wenn «Borgen» sicher vom grossen Vorbild inspiriert wurde, so ist ein Vergleich doch müssig, denn die Dänen haben ihre Serie wohlweislich mit kleinerer Kelle angerichtet: weniger Figuren, weniger Weltpolitik, dafür immer wieder Hintergrundgeschichten, die ans Herz gehen. Das vertraute Politsystem sorgt dafür, dass europäische Zuschauer der Story einfacher folgen können. Und nicht versuchen müssen, das verzwickte Wahlsystem der USA als eine Lektion in Gegenwartskunde mitzunehmen. Auch von «Borgen» ist ein US-Remake in Planung, diesmal durch NBC Universal. Wer inspirierte hier wen?

Über Ländergrenzen hinweg

In Schweden, Norwegen und Dänemark sowie Finnland und Island gibt es eine lange Tradition von TV-Koproduktionen, an denen sich Fernsehsender, aber auch Produktionsgesellschaften über Ländergrenzen hinweg beteiligen. Die ähnlichen Sprachen (bei den drei erstgenannten) und eine gewisse Verbundenheit der skandinavischen Kultur kommen diesen gemeinsamen Produktionen sicher entgegen. Das Publikum sieht in diesen Ländern gemäss Erhebungen auch überdurchschnittlich viele Fernsehfilme und -serien, die aus der Region stammen. Aber gibt es sie wirklich, die gemeinsame nordische Kultur, oder ist das bloss der Blick von aussen? Witzig wird’s auf jeden Fall immer dann, wenn die feinen Unterschiede herausgearbeitet und die typischen Nationalcharakteristiken der einzelnen Länder von Drehbuchautoren auf die Schippe genommen werden.

Brücken, die nicht nur verbinden

Ein ertrinkendes Mädchen hinter der Überschrift «Riget» en TV-Serie af Lars von Trier.
Legende: «Riget» – eine Serie von Lars von Trier. DR

Da wäre etwa Lars von Trier, Dänemarks Regie-Bad-Boy, der in den 1990er-Jahren in der längst Kult gewordenen Serie «Riget» (deutsch: «Geister», englisch: «Kingdom») voller Genuss dänische und schwedische Mentalitäten gegeneinander ausspielte. Sein schwedischer Professor Stig Helmer liess auf dem Dach des Kopenhagener Reichsspitals mit Blick aufs nahe Malmö jeweils seiner Wut auf die unfähigen und faulen dänischen Kollegen freien Lauf. Auch von «Riget» gibt es ein Remake: Stephen King schrieb die dreizehnteilige Miniserie «Kingdom Hospital», die auf von Triers grusliger Spital-Geisterjagd basiert.

In der neuen schwedisch-dänisch-deutschen Koproduktion «Bron/Broen» (deutsch: «Die Brücke») wird dieselbe Meerenge bzw. die Brücke über den Öresund, die Dänemark und Schweden verbindet, zum Tatort eines grausamen Mordes. Ein Team aus beiden Ländern ermittelt. Ein geschickter Schachzug, der es den Produzenten erlaubt, sowohl dänische wie schwedische Schauspieler einzusetzen. Kim Bodnia als dänischer Kriminalkommissar hat mit einer ganzen Reihe von Familienproblemen zu kämpfen. Er lebt und entscheidet aus dem Bauch heraus und hat Schwierigkeiten, seine Ansichten durchzubringen. beim perfekt organisierten schwedischen Ermittler-Team Nicht umsonst werden die Dänen wohl auch als «Italiener des Nordens» bezeichnet. Ganz anders sein schwedisches Gegenüber: Die geniale, aber zwischenmenschlich unfähige Saga, die an einer leichten Form des Asperger Syndrom leidet, kann keine Gefühle zeigen und geht mit unglaublicher Präzision an ihre Ermittlungen. Das Klischee der kühlen Schwedin wird hier auf die Spitze getrieben.

Im amerikanischen Remake - von FX Networks in Auftrag gegeben - soll die Leiche auf der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten liegen. Die Mentalitätsunterschiede in diesem Fall dürften um einiges grösser sein.

Liebhaber spezieller Serien können also aufatmen: Sollte den Amerikanischen Cable-Sendern einmal die Ideen ausgehen, können sie immer noch auf Europas hohen Norden ausweichen. Ohne zu warten, bis die amerikanischen Anbieter ohnehin nordische Ideen in amerikanisierter Form produzieren.

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