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Visions du Réel «Ich glaube, dass es noch viel Arbeit für die Frauen gibt»

Emilie Bujès ist die neue Direktorin des Dokumentarfilm-Festivals Visions du Réel. Ein Gespräch über Frauenquote und warum in der Schweiz weniger Filme von Frauen gedreht werden.

SRF: Zum ersten Mal wurde im Pressedossier des Visions du Réel speziell erwähnt, dass an 109 Filme Frauen beteiligt waren. Warum?

Emilie Bujès: Mir ist es wichtig zu zeigen, dass wir den Frauen genug Platz geben. Egal in welcher Position. Denn oft schaut man nur, wie viele Filmemacherinnen es gibt, vernachlässigt aber die Produzentinnen, Editorinnen und all die anderen Jobs, die es im Filmgeschäft gibt.

Emilie Bujès

Direktorin Visions du Réel

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Die 38-jährige Emilie Bujès hat die französische und Schweizer Staatsangehörigkeit. Sie leitet seit diesem Jahr das Dokumentarfilmfestival Visions du Réel. Zuvor war sie im Auswahlkomitee und von 2016-2017 Stellvertreterin von Luciano Barisone, dem ehemaligen Direktor des Festivals.

Wie hat sich das Programm mit Ihnen als neue Festivaldirektorin verändert?

Ich würde behaupten, dass es keinen Unterschied gibt. Ausser, dass ich mir von Anfang an vorgenommen habe, eine weibliche «Maître du Réel» zu haben. Diesen Ehrenpreis gibt es jedes Jahr. Die letzten vier oder fünf Jahre wurden immer Männer ausgezeichnet. Deshalb wollte ich, dass es diesmal eine Frau wird, nämlich Claire Simon ( eine französische Regisseurin, Anm. d. Redaktion ), was mich sehr freut.

Visions du Réel

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Das Dokumentarfilmfestival Visions du Réel findet vom 13. bis 21. April in Nyon statt.

Das Bundesamt für Kultur hat eine Gender-Studie zum Thema Filmförderung veröffentlicht. Dabei ist herausgekommen, dass weniger Filme von Frauen gefördert werden und dass Frauen weniger Geld für Ihre Filme erhalten. Was sagen Sie dazu?

Man weiss, dass an den Filmhochschulen gleich viele Frauen und Männer ein Studium absolvieren. Aber danach ist es mit der Ausgewogenheit vorbei. Das Problem hat, meiner Meinung nach, auch mit dem Kinderbekommen zu tun und der Frage, was danach passiert. Wie werden Frauen unterstützt und warum erwartet man, dass Mütter weniger arbeiten? Das ist ein gesellschaftliches Problem .

Porträt Frau
Legende: Emilie Bujès leitet seit 2018 das Dokumentarfilmfestival Visions du Réel. Keystone

Drehen Frauen andere Filme als Männer?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich finde es immer ein bisschen schwierig zu sagen, Frauen machen das und Männer machen das. Wir alle sind Individuen und jeder hat eine eigene Auffassung der Realität.

Nach der Filmhochschule ist es mit der Ausgewogenheit vorbei.

Als Regisseurin ist man sehr exponiert: am Set und in der Öffentlichkeit. Gibt es auch deshalb weniger Regisseurinnen, weil Frauen diesen Druck schlechter aushalten?

Wir haben es hier mit einer Frage der Erziehung und der Gesellschaft zu tun. Es kann sein, dass einige Frauen immer noch glauben, dass sie nicht alles machen können, was sie wollen und dass sie unsicherer als Männer auftreten. Das finde ich schade und daran sollten wir arbeiten.

Porträt Frau
Legende: Seraina Rohrer leitet seit 2011 die Solothurner Filmtage. Keystone

Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, hat in einem Interview gesagt, dass die Festivals die Aufgabe haben, Karrieren zu formen. Wie sehen Sie das?

Formen würde ich nicht sagen. Eher launchen, anschieben. Der Unterschied zwischen den Filmtagen in Solothurn und Visions du Réel ist, dass wir Filme aus aller Welt zeigen. Die meisten Werke, die im Programm sind, sind von Filmemachern eingereicht worden, die wir vorher nicht gekannt haben. Wir sind ein Festival, dass sich die Mühe macht, jeden eingereichten Film zu sichten, um neue Talente zu finden. Deshalb glaube ich, dass wir tatsächlich dazu berufen sind, Karrieren zu starten.

Was macht Visions du Réel, um Frauen zu fördern?

Fördern würde ich nicht sagen, aber wir unterstützen sie. Nach dem Sichten schreiben wir die Infos zu den Filmen auf grossen Tafeln. Dieses Jahr haben wir das erste Mal auch die Genderinformation miteinbezogen. Ausserdem glaube ich, dass es eine positive Wirkung haben kann, wenn eine junge Frau wie ich das Festival leitet.

Haben sie versucht, mehr Filme von Regisseurinnen ins Programm zu nehmen?

Es werden sehr viele Filme eingereicht. Dieses Jahr waren es 2700. Nach dem ersten Auswahlverfahren hatten wir eine sehr lange Listen. Am Ende gibt es eine Anzahl von Filmen, die toll sind und die Frage ist: Wie baut man ein Programm, das relevant ist und eine breite Themenauswahl hat?

Ich nehme keinen Film von einer Frau ins Programm, nur weil er von einer Frau ist.

In dieser Liste gab es auch das Kriterium «Frau und Mann». Für mich gilt: Wenn der bessere Film von einem Mann gemacht wurde, dann wähle ich den. Ich nehme keinen Film von einer Frau ins Programm, nur weil er von einer Frau ist.

Seit Jahren spricht man von der fehlenden Gleichberechtigung im Schweizer Film. Was muss passieren, dass sich tatsächlich etwas ändert?

Einerseits muss bei der Förderung etwas geschehen und andererseits in der Gesellschaft. Wie schon gesagt: Wenn Frauen ein Kind kriegen, wird das in der Schweiz zum Problem. Das habe ich erlebt, als ich selber eines bekommen habe. Viele erwarten, dass eine Mutter ihre Karriere aufgibt. Das ist eine Katastrophe. Ich fand es schockierend, dass es immer noch so ist.

Braucht die Schweizer Filmbranche eine Frauenquote?

Ich weiss nicht, vielleicht als Zwischenschritt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Lösung ist. Ich bin dafür, dass man die Filmprojekte auswählt, die am besten sind. Ich würde nicht sagen, dass man ein erzwungenes Gleichgewicht haben sollte. Für Frauen finde ich das «dégradent».

Wir müssen dafür kämpfen, dass eine Frau in der Schweiz nicht mehr das Gefühl hat, mit 27 oder 30 Jahren bekommt man ein Kind und dann wird alles langsamer und schwieriger. Nein, man bekommt Kinder und macht weiter.

Das Gespräch führte Cynthia Ringgenberg.

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