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Zurich Film Festival Wenn Kinder zu Internetstars werden

Die Berliner Influencerin Leonie hat auf Instagram 1.6 Millionen Follower. Der Dokumentarfilm «Girl Gang» von Susanne Regina Meures hat «Leoobalys», wie Leonie im Internet heisst, vier Jahre lang begleitet.

Der Film beginnt mit einer aufgeregten Menge junger Mädchen, die sich hinter einer Absperrung vor einem Kaufhaus drängen. Es sind die Wiener Fans von Leonie, wie wir später erfahren. Es sind Acht-, Neun- oder Zwölfjährige, die ihre 14 Jahre alte Online-Freundin einmal «in echt» sehen wollen.

Die Aufregung, die Tränen, das Kreischen: Das alles erinnert an die alten, schwarzweissen Aufnahmen von vorwiegend sehr jungen, weiblichen Beatles-Fans der 1960er-Jahre.

Die Welt im schw arzen Spiegel

Dabei ist die Musik, die dann einsetzt, feierlich. Sie klingt wie eine Art Kirchenchor, wie Elfenklänge aus abgehobenen Sphären. Es folgt eine Stimme, die ein Märchen erzählen zu scheint. Sie erzählt von einem Mädchen, das sich in seinem «schwarzen Spiegel» spiegelt, fasziniert und faszinierend.

Der schwarze Spiegel ist, klar, das Mobiltelefon. Damit teilt die 14-jährige Leonie die Freuden und Entdeckungen ihres täglichen Lebens mit immer mehr Freundinnen auf der halben Welt. Hierzu zählen etwa neue Schuhe, Klamotten, Mittel gegen Pickel, TikTok-Tricks und kleine Freudentänze.

Fotografie der Dokumentarfilmerin Suanne Regina Meures
Legende: Ihren ersten langen Dokfilm «Raving Iran» drehte Regisseurin Susanne Regina Meures bereits 2016, im Jahr 2020 folgte dann «Saudi Runaway». Mit «Girl Gang» erscheint nun ihr dritter Film. frenetic films

Susanne Meures ist mit ihrer Kamera dabei. Sie zeigt, wie Leonies Eltern das Management ihrer Tochter übernehmen und wie die Kleinfamilie mit Hund, Katze und Einfamilienhaus zur Firma wird. Ausserdem hält sie fest, wie der Vater gezielt und geschickt immer grössere Firmenaufträge hereinholt.

Leonie ist ein Selfmade-Profi. Sie beherrscht die Apps, die Plattformen, die Filter und den richtigen Ton. Die Eltern sorgen für geregelte Abläufe, Disziplin und die nötige Unterstützung.

Der Schein trügt

Zwei Dinge macht der Film sehr schnell sehr klar: Was Leonie da macht, ist knallharte Arbeit. Mit der Vorstellung des «perfekten Lebens», das ihre Fans zu sehen bekommen, hat der Alltag wenig zu tun. Wenn Leonie lacht, lacht sie in die Telefonkamera hinter dem Ringlicht.

Ist das Licht aus, ist sie gestresst, wirft dem mahnenden Vater oder der auf Zeitpläne drängenden Mutter vor, anstrengend zu sein. Sie erweist sich zunehmend als pubertärer Teenager zwischen Disziplin und Einsamkeit.

Digitale oder reale Freundschaft?

Parallel dazu montiert der Film das Leben von Leonies Fan Nummer eins. Das ist Melanie, die mit ihren Fan-Accounts nicht nur Leonies Online-Leben verfolgt, sondern auch über ihre versammelten Mit-Fans zu ihrer Reichweite beiträgt.

Meures’ Kamera ist Leonie und ihrer Familie gegenüber betont neutral, wohingegen Melanie als Proto-Fan von Anfang an mit einer gewissen Hysterie und in Dunkelheit inszeniert wird. Erst nach Jahren emanzipiert sie sich von ihrem Stellvertreterleben und findet eine richtige beste Freundin.

Das ist der eine gezielt manipulative Kunstgriff dieses Dokumentarfilms. Der andere besteht darin, dass Leonies Eltern an einigen Stellen im Off-Ton über ihre eigenen Ängste und Träume reden. Allerdings reden sie nie miteinander – und nie mit der Tochter.

Es gibt keine dokumentarische Neutralität. Wer filmt, steuert Blicke und Vorstellungen. Daran erinnert «Girl Gang» auf jeder Ebene. Auch mit dem letzten Satz im Film, der dem Märchen (und dem Mädchen) ein gutes Ende wünscht.

Kinostart: 27. Oktober 2022

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 26.09.2022, 08:06 Uhr.

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