Seit Jahrzehnten sind wir vom märchenhaften Auenland und dem feurigen Auge Saurons fasziniert. «Der Herr der Ringe» ist Fantasy der Extraklasse, egal ob wir von Büchern, Filmen oder Videospielen sprechen.
Bereits «Mittelerde: Mordors Schatten» hat vor vier Jahren überaus positive Kritiken erhalten. Der soeben erschienene Nachfolger «Mittelerde: Schatten des Kriegs» legt noch mal eine gewaltige Ladung Orks obendrauf. Beste Voraussetzungen also, doch der Nachfolger erntet auch viel Kritik für ein Loot-Boxen-System, das in den Augen vieler Spieler den Bogen überspannt.
Würdige Fortsetzung
Auch im neuen Teil spielen wir Talion den Waldläufer, der immer noch mit dem Geist des Elbenschmiedes Celebrimbor verbunden ist. Zeitlich ist die Geschichte zwischen «Der Hobbit» und «Der Herr der Ringe» angesiedelt. Mit anderen Worten: Gollum hat seinen Ring bereits verloren, aber Frodo ist noch nicht aus dem Auenland losgezottelt.
Dafür erfahren wir mehr über Celebrimbor, der damals Saurons Ring geschmiedet hat – den um sie alle zu knechten, sie alle zu finden, der Ring also, der Sauron zum Superbösewicht werden liess. Zu Beginn des Spiels schmiedet Celebrimbor einen neuen Ring, der jetzt ihm selbst zum Aufstieg verhelfen soll. Viel neuer Ärger, der sich da anbahnt...
Rund 30 Spielstunden benötigt man, um sich durch die fünf unterschiedlichen Gebiete und die Hauptstory zu kämpfen. In bester Tolkien-Atmosphäre liegt der grösste Unterschied zum Vorgänger darin, dass es einfach mehr von allem gibt: Mehr Attribute für gegnerische und verbündete Orks, mehr Spezialfähigkeiten für uns und mehr Bestien, die es zu bezwingen gilt.
Noch mehr Orks, noch mehr Ärger
Wer je von Mordor gehört hat weiss, dass es ein dunkler Ort mit vielen Orks ist. Genau die finden wir auch im neuen Spiel: Viele Orks mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Fast alle davon sind und feindlich gesinnt und manche haben es sogar ausdrücklich auf uns abgesehen.
Von dieser Ork-Schlacht lebt das Spiel. Das sogenannte Nemesis-System wurde bereits im ersten Teil eingeführt. Im Grunde geht es darum, dass unsere Siege und Niederlagen die ganze Ork-Hierarchie beeinflusst. Wenn wir oft gewinnen, steigt unsere Macht und die Orks verhalten sich dementsprechend eingeschüchtert oder fangen an, uns zu verspotten.
Gekämpft wird dabei stets spektakulär mit einem eingängigen Kampfsystem, das durch Spezialfähigkeiten angereichert wird und an vielen Stellen an das Kampfsystem aus der «Batman: Arkham» -Serie erinnert.
Das vermeintliche Ende: Noch mehr Ärger mit Akt 4
Wer mit dem grössten Teil der Hauptgeschichte durch ist, der findet sich in einer Art Epilog wieder. Doch dann geht es einfach weiter ─ was folgt ist der umstrittene vierte Akt.
ACHTUNG SPOILER: Ab jetzt sind die regulären Story Missionen vorbei, nicht einmal mehr Dialoge wurden vertont und auch sonst fehlen jegliche Inszenierungen, wie man sie aufgrund der ersten Akte erwarten würde. Dafür müssen wir jetzt immer wieder die gleichen Burgen verteidigen. Liebloser geht es eigentlich kaum.
Doch nur wenn alle 20 Burgen erfolgreich verteidigt sind, bekommen wir den wahren Epilog zu sehen. Das wird viele dazu verführen, in diesem späten Stadium des Spiels doch noch den In-Game Shop zu besuchen und sich dort eine Loot-Box nach der nächsten zu kaufen. Darin warten XP-Boosts und seltene Orks, die uns in den Schlachten einen Vorteil verschaffen.
Und genau das hat das Fass für viele Spieler zum Überlaufen gebracht. So sehr, dass manche das Spiel gar prinzipiell boykottieren.
Die Geldmache der Gaming Industrie
Egal ob «Forza», «Destiny», «Overwatch», «Battlefront», «Battlegrounds» oder «Battlefield»: Kaum ein grosser Titel der letzten Jahre mochte auf das Geschäft mit den Schatztruhen verzichten. Das Öffnen der sogenannten Loot-Boxen ist nichts anderes als das Drehen an einem Glücksrad oder das Öffnen einer Panini-Bild Packung.
Glücksspiel sagen dazu die einen. Die anderen, etwa die deutsche USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) und das amerikanische ERSB (Entertainment Software Rating Board), meinen: Nein, Loot-Boxen sind kein Glücksspiel.
Zwar ähnle der Vorgang dem Glückspiel, da man sich für Geld eine Gewinnchance kaufe, ohne zu wissen, was effektiv der Preis sein wird. Allerdings könne dieser Preis nicht in echtes Geld umgetauscht werden, was beim Glücksspiel der Fall sein müsse.
Das stimmt vielleicht im Fall von «Mittelerde: Schatten des Kriegs», allerdings gibt es genug andere Beispiele , wo sich die erhaltenen Spiel-Gegenstände sehr wohl in echtes Geld umwandeln lassen.
Die Frage hat Konsequenzen für den Verkaufserfolg eines Games: Würden Loot-Boxen von der USK und der ESRB als Glückspiel eingestuft, wären alle Spiele mit solcher Mechanik erst ab 18 Jahren freigegeben, da Glücksspiel nur für Erwachsene zugelassen ist.
Was ist in der Kiste drin?
Doch Loot-Boxen sorgen auch sonst für Aufregung, etwa was den Inhalt der Kisten angeht. Dabei muss man unterscheiden, was es zu gewinnen gibt, aber auch, wie viel man für das Basisspiel bezahlt hat.
Auf der einen Seite gibt es rein kosmetische Gegenstände wie Kleidung oder Skins zu gewinnen. Diese haben keinen Einfluss auf das Verhalten der Spielfigur. Es geht also bloss um Stil – doch auch das kann ein durchaus wertvolles Statussymbol sein, vor allem dann, wenn es ausser solchen kosmetischen Veränderungen sonst nichts mehr im Spiel zu holen gibt.
Andererseits gibt es Loot-Boxen, die effektiv dabei helfen, besser zu Spielen. Das ist auch bei «Mittelerde: Schatten des Kriegs» der Fall. Pay-to-Win nennt man dieses System etwas spöttisch. Gerade bei Spielen, die sonst gratis angeboten werden, ist das ein beliebtes System. Dort wird es von vielen gar als fair empfunden, weil die Fans freiwillig für ihr Spiel bezahlen. Wird dieses System allerdings bei Titeln eingesetzt, für die wir bereits beim Download 70 Franken hingelegt haben, erhitzen sich die Gemüter vieler Gamer.
Wer ist hier der Spielverderber?
Ich persönlich kaufe keine Loot-Boxen – genauso wie ich kein Lotto spiele. Das bringt mir in den ersten und den letzten Stunden von «Mittelerde: Schatten des Krieges» viel Ärger ein. Mein Waldläufer ist schwach, die Orks sind versiert und ich muss erst einmal unten durch. Sterben steht auf der Tagesordnung.
Doch wer nie unten war, wird auch das Oben nicht zu schätzen wissen. Und so kämpfe ich mich von Ork zu Ork, denn genau darum geht es doch, oder?
Wer das Spielerlebnis lieber mit dem Kauf von Loot-Boxen abkürzt und anschliessend wütend ist, der hat sich vielleicht einfach auch selbst den Spass verdorben. Zumindest hätte ich das bis vor kurzem noch so formuliert. Doch wenn die Spieleentwickler uns mit einem eintönigen Level-Design regelrecht zum Kauf von Loot-Boxen provozieren, dann muss man sich nicht wundern, wenn der schwarze Peter weitergeschoben wird.
«Middle-earth: Shadow of War» ist ab 18 Jahren freigegeben und kostet rund 60 Franken.