Heute kann man darüber reden. Es ist verjährt. Aber damals wäre die Kinderschutzbehörde aufgefahren, hätte sie gewusst, dass wir gemeinsam mit unserem Erstklässler-Sohn «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» schauten.
Denn IBES, wie die Show kurz genannt wird, war wieder mal eine jener Fernsehsendungen, die den «Untergang des Abendlandes» herbeiführte.
Vom Dschungel in die Zivilisation: Diese Gesichter sind geblieben
Die Trash-TV-Ära hatte zwar mit «Big Brother» ein paar Jahre davor begonnen, wo ein paar Nobodys ihre Seele und andere Körperteile vor der Kamera entblössten. 2004 legte IBES aber noch eine Schippe drauf.
Unterhaltung trifft Voyeurismus
Es traten Stars auf, zumindest zweiter Klasse, die man aus Film, Fernsehen, der Hitparade oder dem Sportstadion kannte. Die meisten hatten den Zenit ihrer Karriere zwar überschritten. Aber IBES bot ihnen Hoffnung auf einen Neustart, wofür sich die Promis vor laufender Kamera demütigen und quälen liessen.
Wir sassen zu dritt gemütlich auf dem Sofa und schauten genussvoll zu, wie die Kandidatinnen und Kandidaten im australischen Dschungel langsam Nerven und Haltung verloren, weil sie froren, durchnässt waren und nur Reis und Bohnen zu essen bekamen.
Richtig johlen konnte man, wenn die Promis zu den Dschungelprüfungen antraten. Da mussten sie Känguruhoden, Krokodilpenisse und lebende Insekten runterwürgen oder sich durch enge Tunnel quetschen, die mit Spinnen oder Schlangen überquollen. Alle ungiftig, wie versichert wurde.
Höhepunkte waren auch die Momente, in denen die Stars übereinander herzogen. Da zeigten sich Promis von ihrer miesesten Seite.
Galoppierender Verfall der Menschenwürde
Dass man es lustig fand, wie sich die Promis freiwillig erniedrigten, sagte man aber besser nicht laut. Im Dunstkreis des Bildungsbürgertums galt das Dschungelcamp als Bedrohung für den Fortbestand der westlichen Zivilisation.
Nach der ersten Staffel wollten Medienwächter die Show verbieten: Elternverbände protestierten gegen die Profit- und Quotengier der Privatsender und Grüne beklagten Verstösse gegen den Tierschutz.
«Die Kulturpessimisten fahren Sonderschichten und brandmarken den galoppierenden Verfall der Menschenwürde», fasste «Der Spiegel» die Reaktionen zusammen. Die Zuschauer kümmerte das wenig. Ein Millionenpublikum gönnte sich das spätabendliche Vergnügen aus Schadenfreude und Voyeurismus.
Das Promi A-Z geht auf das Ende zu
Die Ausgabe zum 20. Jubiläum offenbart allerdings das Problem, das mich schon vor Jahren zum Ausstieg bewegt hat. Die Stars von heute zeichnet einzig aus, dass sie schon zuvor in einer Reality-TV-Show aufgetreten sind. IBES begann mit B-Promis, steuert heute aber zielstrebig auf das Ende des Alphabets zu.
Hier hat sich ein Ökosystem entwickelt, in dem sich Leute tummeln, deren einzige Qualifikation darin besteht, um Zuschauergunst zu betteln. Das bietet nicht mehr denselben Reiz wie damals, als das Costa Cordalis, Lisa Fitz, Ingrid van Bergen, Brigitte Nielsen oder Bata Illic taten.
«Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» flimmert bei mir nicht mehr über den Schirm. Ein Vergnügen verdanke ich der Show aber immer noch: Die ätzenden Kommentare der TV-Trash-Spezialistin Anja Rützel vom «Spiegel» über die heutigen Camper, die sich im Dschungel zum Affen machen.
Und falls Sie sich sorgen: Unserem Sohn geht es gut. Eine psychologische Aufarbeitung der IBES-Abende war nicht notwendig.