Weinfelden will kein spezielles Grabfeld für Musliminnen und Muslime. Das hat die Bevölkerung in einer Abstimmung am 18. Mai entschieden.
Geht es ums Thema Islam, haben es Abstimmungen an der Urne grundsätzlich schwer. Der Minderheitenschutz sei brüchig, sagt Antonius Liedhegener, Professor für Politik und Religion. Er macht einen Vorschlag, wie sich das ändern liesse.
SRF: Haben Sie mit dem Abstimmungsresultat gerechnet?
Antonius Liedhegener: Ja. Weinfelden folgt einem Muster, das wir oft sehen. Auf parlamentarischer Ebene gab es eine breite Mehrheit für das Friedhofsreglement und die muslimischen Gräber. Durch das Referendum der EDU ist die Diskussion auf die nationale Ebene gerutscht.
Dort ging es nicht mehr um das konkrete Anliegen, sondern um kollektive Identitäten und Ressentiments. So fiel die Abstimmung zu Ungunsten der Musliminnen und Muslime aus.
Hat sich also nichts verändert seit der ersten nationalen Abstimmung zum Thema Islam, der Minarettinitiative?
Doch. Die Zustimmungswerte zur Minarettinitiative waren viel höher als etwa die zur letzten nationalen Abstimmung, der Verhüllungsinitiative. Der Abstand wird also knapper. Aber: Wenn sich die Gegner engagieren und auf lokaler Ebene nationale Unterstützung erhalten wie in Weinfelden, dann haben sie eine kleine Mehrheit.
Versagt der Minderheitenschutz in unserer direkten Demokratie, wenn es um den Islam geht?
Der Minderheitenschutz ist zumindest brüchig. Nicht auf der Ebene der individuellen Religionsfreiheit. Aber immer dann, wenn muslimische Gemeinschaften nicht nur praktizieren, sondern auch öffentlich auftreten wollen.
Im Moment ist vor allem die individuelle Religionsfreiheit garantiert.
Eine Studie der Universität Bern zeigt, dass Abstimmungen zumeist zu Lasten von kleineren Religionsgemeinschaften gehen.
Was müsste sich ändern, damit religiöse Minderheiten besser geschützt werden?
Man müsste die Verfassung anpassen. Im Moment ist vor allem die individuelle Religionsfreiheit garantiert. Das geht zurück auf den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts mit der Konkurrenz zwischen katholischen und reformierten Kantonen. Dass das Verhältnis zwischen Staat und Religion per Verfassung in den Kantonen geregelt wird, war damals friedensfördernd.
Es würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, wenn muslimische Gemeinschaften den Kirchen gleichgestellt wären.
Heute ist dies nicht mehr der Fall. Deshalb braucht es die Garantie einer korporativen Religionsfreiheit. Die Rechtsgleichheit muss garantiert werden.
Was würde das bewirken?
Die Kantone müssten ihr Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften neu regeln. Heute ist die Anerkennung für Religionen, die durch Zuwanderung in die Schweiz kamen, teils unmöglich. Das würde sich ändern. Die Kantone müssten dann entscheiden, ob sie für alle Religionsgemeinschaften die Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung schaffen wollen.
Für die Musliminnen und Muslime hiesse das, dass ihre Gemeinschaften den Kirchen gleichgestellt würden. Das schafft soziale Anerkennung und würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Ist denn eine derartige Veränderung realistisch?
Es ist tatsächlich fraglich, wer politisch von einem derartigen Vorstoss profitieren würde. Aber politisch würde es darauf hinauslaufen, dass man in ein geordnetes Dialogverfahren, in eine öffentliche Debatte, eintritt. Die Schweiz müsste sich darüber klar werden, wie sie mit religiösen Unterschieden, mit neuen Religionsgemeinschaften grundsätzlich umgehen möchte.
Die Gewinner wären religiöse Minderheiten, der Zusammenhalt in der Schweiz und der Grundrechtsschutz der Bundesverfassung.
Das Gespräch führte Nicole Freudiger.