Jüngst verglich Papst Franziskus Abtreibung mit «Auftragsmord». Darüber waren nicht nur feministische Theologinnen empört: Das Thema Abtreibung polarisiert, denn: Zunehmend kollidiert religiöse Argumentation mit modernem Lebensstil und Selbstbestimmungsanspruch.
Ein Blick in die Haltungen fünf globaler Religionen.
Hinduismus
Hinter dem Begriff «Hinduismus» verbergen sich eine Vielzahl verschiedener religiöser Traditionen. Sie teilen sich allerdings gemeinsame Grundanschauungen.
«Das Ideal der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen ist in allen Hindu-Religionen von zentraler Bedeutung», sagt Birgit Heller, Professorin für Religionswissenschaft in Wien. «In den sogenannten Dharma-Texten wird die Abtreibung eindeutig verurteilt und unter Strafe gestellt. Sie gilt als Tötung eines Lebewesens.»
Der Embryo wird von Anfang an als ein geistiges Wesen betrachtet. Die alten ayurvedischen Texte erläutern, wie eine Seele bereits beim Geschlechtsverkehr in den Mutterleib eintritt.
Allerdings wurde der Schwangerschaftsabbruch 1971 im säkularen Indien – dem Staat mit der grössten hinduistischen Bevölkerung – unter bestimmten Bedingungen (prekäre Gesundheit der Mutter, schwere Beeinträchtigungen des Kindes, Vergewaltigung, missglückte Empfängnisverhütung) legalisiert.
Religiöse Norm und soziale Praxis klaffen aber häufig auseinander: «Heute geht man in Indien von ungefähr 11 Millionen Abtreibungen im Jahr aus», sagt Heller. Dies habe mit dem weit verbreiteten aber vom säkularen Staat verbotenen Phänomen der Mädchenabtreibung zu tun.
Mittlerweile hat die vorgeburtliche Geschlechtsselektion zu einem dramatischen Missverhältnis der Geschlechter geführt, sagt Heller: «Diese Praxis hat neben ökonomischen Gründen – extrem hohe Mitgiftkosten – auch religiöse Wurzeln. Weibliches Leben gilt nach der Ansicht der traditionellen religiösen Elite, der Brahmanen, als minderwertig. Als Frau geboren zu werden, ist das Ergebnis von schlechtem Karma in einem vergangenen Leben.»
Judentum
Im Judentum wird das menschliche Leben als heilig verstanden. Abtreibung ist deshalb in der jüdischen Orthodoxie an und für sich verboten. Das Reformjudentum ist diesbezüglich teils anderer Ansicht.
David Bollag, Judaist und orthodoxer Rabbiner, erläutert: «In bestimmten Ausnahmesituationen ist eine Abtreibung erlaubt. Zum Beispiel, wenn die physische oder psychische Gesundheit der Mutter gefährdet ist.»
Diese Ansicht stützt sich auf die Mischna und den Talmud, die sogenannte mündliche Tora. Die schriftliche Tora äussert sich nicht dazu.
Nach Auffassung des Judentums beginnt das Leben eines Menschen erst mit der Geburt. «Sobald sich der Embryo im Mutterleib einnistet, gilt er zwar als potentielle Person und Abtreibung wäre damit die Zerstörung potentiellen Lebens. Aber sie ist kein Mord», so Bollag.
Zum Schutz dieses Lebens müssen zwar, wo nötig, die Sabbat-Gesetze gebrochen werden. Jedoch ist der Embryo nicht im vollen Besitz der Rechte eines geborenen Menschen.
Wenn aber eine Abtreibung vorgenommen werden muss, so soll dies trotzdem möglichst früh in der Schwangerschaft geschehen. Bollag erklärt: «Je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft ist, desto schwieriger wird es für einen Rabbiner sein, eine Abtreibung zu erlauben.»
Denn der Fötus gewinnt im Laufe der Schwangerschaft kontinuierlich an Menschenrechten, bis er diese bei seiner Geburt vollständig erlangt.
Buddhismus
Gemäss klassisch buddhistischen Texten entsteht menschliches Leben im Augenblick der Empfängnis. Damit wird Abtreibung als Tötungsakt verstanden.
Jens Schlieter, Professor für Religionswissenschaft in Bern, erklärt: «Im Buddhismus darf im Prinzip jede noch so kleine Form von Lebewesen nicht absichtlich zerstört werden.»
Die buddhistische Ethik schaut traditionell primär auf den Handelnden – und wenig auf das Opfer. «Die Handelnden müssen selbst bestimmen, ob sie eine Handlung und ihre negativen karmischen Folgen, die sich auf ihre künftige Existenz auswirken, durchführen wollen.»
Einige Länder Asiens weisen trotz buddhistischer Tradition eine relativ hohe Abtreibungsrate auf, so Schlieter. «Die buddhistische Lehre und Tradition hat sich in den unterschiedlichen Ländern Asiens, vor allem in den grossen Metropolen, sehr stark an die Umgebungskultur angepasst.»
Das Wohl der Frau etwa wird stärker in Betracht gezogen: «Wenn Frauen durch eine Geburt ökonomisch oder sozial in grosse Not kommen, ist Abtreibung eine Option.»
Daraus entstand in Ostasien eine eigentümliche Praxis: Wer abtreibt, spendet begleitend eine buddhistische Steinfigurine.
Friedhöfe in Japan etwa haben spezifische Bereiche für Bodhisattva-Statuen . Diese Erleuchtungswesen sollen sich den getöteten Föten annehmen und diese durch die Unterwelt begleiten.
Ein Entschuldungsritual? Schlieter sagt dazu: «Die Betroffenen zeigen, dass ihnen das Schicksal des Ungeborenen nahe geht. Man fürchtet aber auch die Rache der Getöteten, die als unbefriedete Geister zurückkehren können.»
Christentum
In der Bibel ist Abtreibung kein Thema.
Generell lehnt das Christentum Abtreibung ab, denn «dem Christentum ist das Engagement für jedes Leben, gerade auch das schwache, ungehörte, ungewollte oder behinderte eigen», erklärt die evangelische Theologin Christine Stark.
Nach offizieller römisch-katholischer Lehrmeinung fällt Abtreibung unter das Tötungsverbot. Denn mit der Befruchtung liegt ein Mensch vor, dem volle Menschenwürde zukommt.
Stark betont aber: «Die Meinungen zwischen Lehramt und Kirchenvolk gehen breit auseinander. Dies zeigte zuletzt der innerkatholische Aufruhr nach der Äusserung des Papstes, worin er Abtreibung mit Auftragsmord verglichen hat.»
Im Detail unterscheiden sich die Konfessionen dennoch stark: In der reformierten Kirche wie auch in den anderen europäischen protestantischen Kirchen wird die Situation der Schwangeren in die Überlegungen einbezogen.
Zudem werde Aufklärung und Verhütung als probates Mittel zur Reduktion ungewollter Schwangerschaften propagiert, so Stark.
Ein genauer Zeitpunkt, zu welchem die Abtreibung noch vertretbar wäre, gibt es im Christentum also nicht. Dennoch wurden unter Theologen die verschiedensten Ansichten verhandelt, zu welchem Zeitpunkt ein Fötus beseelt sei.
Christine Stark führt aus: «Von der Annahme einer vorexistenten Seele, über die Idee, dass die Seele im Moment der Zeugung eintritt, bis zur Auffassung, dass ab einem bestimmten Tag im Fötus eine Vernunftseele existiert.»
Solche Einschätzungen bieten auch Anknüpfungspunkte an die Fristenlösung, die in der reformierten Ethik als Ultima Ratio akzeptiert ist.
Islam
Weder der Koran noch die Sunna behandeln das Thema Abtreibung explizit, jedoch gilt auch hier das grundsätzliche Tötungsverbot.
Die Abtreibungsfrage holt im Islam eine Vielzahl an Lehrmeinungen aufs Tapet. Je nach Rechtsschule, Land und Gesellschaft aber auch je nach wissenschaftlichem Kenntnisstand und konkreter Situation gibt es eine differenzierte Rechts- und Abtreibungspraxis.
Die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji erklärt: «Grundsätzlich ist Abtreibung verboten. Es sei denn, das Leben oder die Gesundheit der Frau sind gefährdet oder das Kind schwerkrank.»
Wie auch in anderen Traditionen hängt die Abtreibungsfrist mit der Frage zusammen, wann menschliches Leben beginnt. «Die hanafitische und die schafitische Rechtsschule und somit die Mehrheit der Muslime gehen davon aus, dass der Embryo 120 Tage nach der Befruchtung beseelt wird. Andere gehen von 40 Tagen aus», sagt Hafner-Al Jabaji. Nach dieser Frist ist Abtreibung in der Regel verboten.
Grundsätzlich ist aber zu sagen, dass das Sharia-Recht nicht starr ist, sondern Entwicklungen unterliegt. Hafner-Al Jabaji führt aus: «Die sozialen Umstände der Betroffenen und neuer Wissensstand spielen eine grosse Rolle bei der Rechtsfindung. Sie sind sowohl an ihre Zeit wie auch an den Mufti gebunden, der sie formuliert.»
Entsprechend geben Muftis auch neue Fatwas (Rechtsbetrachtungen) heraus und beziehen konkrete Umstände und Gründe mit ein, welche Abtreibungen legitimieren können, etwa Vergewaltigung.