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Aids im Altersheim Kleine Gefahr, grosse Angst

HIV-Patienten, die behandelt werden, sind nicht ansteckend. Angst vor ihnen haben im Gesundheitsbereich trotzdem viele.

Frühmorgens im Alters- und Pflegeheim Lorrainehof der Heilsarmee in Bern. Einzelne Bewohnerinnen verlassen den Speisesaal. Sie brechen auf zu ihrer Beschäftigung, sei es Malen, Spazieren oder einfach Verweilen. Die meisten sind alt, aber nicht alle.

Der Lorrainehof hat vor vier Jahren die Türen auch für psychisch und suchtkranke Menschen geöffnet. Damit betreut das Heim auch Menschen, die sich vermutlich mit dem HI-Virus angesteckt haben.

Gleiche Hygienevorschriften für alle

So genau wisse man das aber nicht immer, erklärt Ruth Wittwer. Sie ist Leiterin Pflege und Betreuung im Lorrainehof. «Wenn es schon in der Diagnoseliste steht, die wir von den Ärzten und zuweisenden Kliniken bekommen, wissen wir es. Es kann aber auch sein, dass Menschen eintreten und es nicht diagnostiziert ist.»

Bei der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner spielt es keine Rolle, ob sie HIV-positiv sind. Es gelten für alle die selben Hygienevorschriften und Vorsichtsmassnahmen bei Spritzen und Blutentnahmen.

Heime haben Angst

Der einzige Unterschied bei Aidskranken sei der Gesundheitszustand oder das schwächere Immunsystem, sagt Wittwer: «Aber alle Bewohner bringen ihre Krankheiten und ihre Lebensgeschichten mit.» Einen Grund, aidskranke Menschen nicht aufzunehmen, sieht sie nicht.

Das ist nicht überall so: Viele Pflegeheime weisen HIV-positive Menschen ab. Aline Schulthess von der Aidshilfe Bern ist immer wieder damit konfrontiert. Sie hilft HIV-positiven Menschen bei der Suche nach einem Pflegeplatz und stösst dabei immer wieder auf Ablehnung. Meist aus Angst vor Ansteckungen und wegen Unwissen. Solche sei aber häufig unbegründet: «Patienten unter wirksamer Therapie sind nicht mehr ansteckend.»

Diskriminiert vom Zahnarzt

Vor fünf Jahren wollte die Aidshilfe Bern mittels Umfrage unter Pflegeheimen erfahren, wie offen diese für HIV-positive Bewohnerinnen und Bewohner sind. 11 Prozent gaben zu, keine HIV-positiven Menschen aufnehmen zu wollen. 16 Prozent gaben an, sie wüssten es nicht. Die meisten aber meinten, das Thema sei für sie nicht relevant.

Doch diese Einstellung dürfte sich bald rächen. Alle Patienten, die sich vor 20 Jahren oder früher angesteckt haben, kommen in den nächsten Jahren ins Pflegealter – und das sind nicht wenige.

Aline Schulthess begegnet vielen Menschen, die vor einem Eintritt in ein Pflegeheim Angst haben. Die meisten wurden schon in den jungen Jahren vom Gesundheitssystem diskriminiert, etwa von Zahnärzten oder Chirurgen, die sie nicht behandeln wollen.

«Das prägt das Leben der Betroffenen. Es führt beispielsweise dazu, dass sich die Betroffenen fragen: Was mache ich, wenn ich in ein Heim komme. Erlebe ich dann die Erfahrungen, die ich gemacht habe, wieder? Es ist ein grosses Problem», sagt Schulthess.

Die Angst nehmen

Deshalb setzt die Aidshilfe Bern mit ihrem Team auf Aufklärung. Zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz drehte sie einen Sensibilisierungsfilm mit und über Betroffene.

Diesen wollen sie Ärzten und in Pflegeheimen und vor allem in Ausbildungsstädten zeigen. Ziel davon: «Die Angst vor HIV zu nehmen.» HIV ist eine behandelbare chronische Krankheit und nicht ansteckend, wenn sie therapiert wird.

Es geht dabei um Gleichbehandlung: «Die Leute haben die gleichen Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen wie andere Menschen. Es geht eigentlich um eine Gleichbehandlung.»

Ob das Anliegen rechtzeitig bei allen Stellen angekommen ist? Aline Schulthess ist skeptisch: Schliesslich sei schon seit 2008 bekannt, dass HIV-positive Menschen unter Therapie nicht ansteckend sind - heute, zehn Jahre später, wüssten dies nicht einmal alle Fachpersonen.

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