Robin DiAngelos Anti-Rassismus-Workshops beginnen wie die Treffen der Anonymen Alkoholiker. Nur mit anderem Refrain: «Ich heisse Soundso, ich bin weiss und ich bin ein Rassist.» Dann warnt DiAngelo die Teilnehmenden: «Ich werde euch nicht schonen. Euch steht harte Arbeit bevor.»
Gefragter Workshop
Die 63-Jährige ist die zurzeit prominenteste Rassismus-Exorzistin der Vereinigten Staaten. Sie beschäftig sich seit den 1990er-Jahren mit Fragen des Multikulturalismus. Vor allem aber hat sie den Berufszweig der Anti-Rassismus-Beratung bekannt gemacht.
Der hat im Augenblick Hochkonjunktur. DiAngelo wird überflutet von Anfragen von Grossunternehmen wie Amazon und Goldman Sachs, die sie als Anti-Rassismus-Trainerin engagieren möchten.
Weisse haben Rassismus in den Genen
Ihr Buch «White Fragility» steht seit Wochen an der Spitze der US-Beststellerlisten und erscheint dieser Tage unter dem Titel «Wir müssen über Rassismus sprechen» auch auf Deutsch.
Ihre These: Weisse sind gewissermassen genetisch dazu verdammt, Rassisten zu sein. Die Weigerung, diesen Umstand anzuerkennen, diagnostiziert DiAngelo als «weisse Zerbrechlichkeit», ebenso wie die Empfindlichkeit, mit denen Weisse auf Rassismusvorwürfe reagieren. «White Fragility» ist ein Leitfaden für Weisse, ihren inneren Rassisten loszuwerden.
Bemerkenswert ist zweierlei. Erstens: Robin DiAngelo ist weiss. Zweitens: Sie verspricht keine Erlösung. Sie prophezeit ihrem weissen Publikum vielmehr einen möglicherweise endlosen Kreuzweg. Nur wer sich ein Leben lang der schmerzhaften Selbsterkenntnis widmet, hat ihrer Ansicht nach die Chance, die angeborenen Vorurteile zu überwinden.
Kritik von afroamerikanischer Bevölkerung
Niemand bezweifelt, dass DiAngelo es gut meint. Dennoch wird sie zunehmend und von allen Seiten kritisiert. Die interessanteste Kritik stammt von Leuten, die Rassismus tatsächlich ausgesetzt sind.
Viele Afroamerikaner fühlen sich als Zuckerpüppchen dargestellt, denen wohlmeinende Weisse unter gar keinen Umständen zu nahetreten dürfen. Als hätten sie keine eigene Stimme. Das empfinden sie als entmündigend.
Entschuldigung für Nichtstun
Ein weiterer Kritikpunkt: DiAngelo liefere ihren eifrigen Schülern eine Entschuldigung dafür, sich nicht um Veränderungen auf politischer Ebene zu bemühen. In DiAngelos Universum ist nämlich jeder Aktivist, der noch kein idealer Anti-Rassist ist, ein Heuchler.
Interview mit Robin DiAngelo
Wer nicht die letzte rassistische Faser im eigenen Leib getilgt hat, steigert mit politischen Initiativen lediglich den eigenen Wohlfühlquotienten. Und für echtes Handeln bleibt ja eigentlich auch keine Zeit. Denn das Projekt der konstanten Selbstverbesserung hin zum Ideal des Anti-Rassismus ist quasi per Definition nie abgeschlossen. DiAngelo bietet ihrem Publikum also eine Art goldenes Hamsterrad, in dem man sich abstrampeln soll, bis man umfällt. Sonst aber braucht man nichts zu tun.
Da muss man sich doch fragen: Ist das wirklich eine Methode, die zu mehr sozialer Gleichberechtigung führt? Wenn Weisse das eigene Schuldbekenntnis wie einen Orden mit sich spazieren führen und ansonsten weitermachen wie bisher? Die Antwort vieler darauf lautet: Nein.