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Aufarbeitung von Missbrauch Jetzt untersucht auch die reformierte Kirche Missbrauchsfälle

Noch im Juni lehnte das Kirchenparlament der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS eine Studie ab, die sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen aufarbeiten sollte. Jetzt hat der Kirchenrat nachgebessert: Ein neuer Vorschlag – beschränkt auf die reformierte Kirche – wurde dem Parlament vorgelegt und einstimmig angenommen.

Warum das so lange gedauert hat und was genau untersucht werden soll, erläutert SRF-Religionsredaktorin Nicole Freudiger.

Nicole Freudiger

Religionsredaktorin

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Nicole Freudiger ist Religionsredaktorin bei SRF Kultur. Zuvor war sie Redaktorin beim Regionaljournal Zürich Schaffhausen.

Warum hat die evangelisch-reformierte Kirche Schweiz erst jetzt eine Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben?

Einerseits fehlte den Reformierten lange Zeit das Problembewusstsein. Sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext schien primär ein Problem der römisch-katholischen Kirche zu sein. Hier hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Die jetzige Präsidentin der EKS, Rita Famos, hatte die Aufarbeitung vorangetrieben. Sie war jedoch mit ihrem Ansinnen, in einer Studie nicht nur den kirchlichen Kontext untersuchen zu lassen, sondern die gesamte Gesellschaft, letzten Sommer im Parlament gescheitert. Nun hat der Rat der EKS einen neuen Anlauf genommen und bei der Ausarbeitung der Vorlage unter anderem mit Betroffenenorganisationen zusammengearbeitet. Und diesen neuen Vorschlag hat das Kirchenparlament nun durchgewunken.

Was ist die EKS, der Rat und das Parlament?

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Die evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS ist der Dachverband der reformierten Landeskirchen. Organisiert ist die EKS analog zu politischen Gremien: Sie besteht aus einer Regierung, dem EKS-Rat, und einem Parlament, der Synode.

Was soll die Studie untersuchen?

Sie soll sexualisierte Gewalt in der reformierten Kirche unabhängig untersuchen, Erfahrungsberichte von Betroffenen und Angestellten zusammentragen und so auch strukturelle Schwachstellen sichtbar machen. Es geht um die Anerkennung des Leides der Betroffenen ebenso wie um Grundlagen für künftige Präventionsmassnahmen.

Dies sei ein wichtiger Schritt, waren sich alle Kirchenparlamenterier und -parlamentarierinnen einig. Sie lobten die Vorbereitung der Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Betroffenenorganisationen. Einzig die Frage, ob neben dem sexuellen auch der spirituelle Missbrauch untersucht werden soll, führte zu Diskussionen. Der Antrag aus der Zürcher Landeskirche, den spirituellen Missbrauch aus dem Titel zu streichen, wurde jedoch abgelehnt – unter Verweis auf die Betroffenen, die sich den Einbezug gewünscht hatten.

Spiritueller Missbrauch

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Von spirituellem Missbrauch ist die Rede, wenn eine religiöse Autoritätsperson ihre Macht und ihr religiöses Wissen ausnutzt, um Personen zu manipulieren. Der Täter / die Täterin beruft sich dabei oft auf eine «höhere Macht» und missbraucht die religiös-spirituelle Beziehung, um ihren Willen durchzusetzen. Spiritueller Missbrauch ist oft die Vorstufe von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext.

Mit welchen Resultaten ist zu rechnen?

Eine gross angelegte Studie in Deutschland hat gezeigt, dass sexueller Missbrauch im evangelischen Milieu weiter verbreitet war als angenommen. Und dass es dafür strukturelle Gründe gab. Etwa die Rolle des Pfarrers als Autoritätsperson, aber auch eine mangelnde Bereitschaft, Konflikte zu thematisieren. In der Schweiz ist mit ähnlichen Resultaten zu rechnen.

Was sind die Knackpunkte der neuen Studie?

Die Datenlage ist eine Herausforderung. Pfarrerinnen und Pfarrer werden in der reformierten Kirche lokal in den Kirchgemeinden angestellt. Dort liegen also auch die Personaldossiers. Kein Forschungsteam wird all diese Daten sichten können. Zudem ist das Geld für die Studie mit 250'000 Franken eher knapp bemessen. Und: Der Zeitplan ist äusserst ehrgeizig: Bereits im nächsten Sommer soll der Auftrag vergeben sein, bis Ende 2027 sollen Ergebnisse vorliegen.

Radio SRF 1, Echo der Zeit, 3.11.2025, 18:00 Uhr ; 

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