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Mumien im Museum: Zwischen Effekt und Würde
Aus Kontext vom 21.09.2021. Bild: Pexels / Shvets Anna
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Ausgestellte Tote Moorleichen und Mumien im Museum zeigen – geht das noch?

Skelette und Schrumpfköpfe: Ist es ethisch erlaubt, menschliche Überreste auszustellen?

Mumien und menschliche Überreste in Ausstellungen sind Publikumsmagnete - und Gegenstand gesellschaftlicher Debatten: Darf man menschliche Überreste ausstellen? Ist die Herkunft der Objekte widerspruchsfrei geklärt? Und sind die Nachfahren der Toten damit einverstanden, dass ihre Ahnen in Museen gezeigt werden?

Die Würde des Menschen soll gewahrt werden

Orientierungshilfe zu diesen Fragen bieten die Ethischen Richtlinien des International Council of Museums (ICOM) und des Deutschen Museumsbundes. Letzterer hat jetzt neu einen ausführlichen Leitfaden publiziert.

Projektleiterin Wibke Ahrndt hält als Grundsatz fest: «Die wichtige Aufgabe, und das ist keine leichte Aufgabe, ist, dass die Würde des Menschen gewahrt werden muss. Wir müssen uns als Ausstellungsmacherinnen immer die Frage stellen: Könnte ich die Ausstellung auch ohne die menschlichen Überreste machen?»

Angst vor Reaktionen des Publikums

Es brauche also gute Gründe, um Verstorbene überhaupt öffentlich zu präsentieren. Das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen hat in den letzten Wochen Konsequenzen gezogen. Sechs Schrumpfköpfe von Jivaro Indianern, die erst 2010 erworben worden waren, und eine peruanische Hockermumie sind nicht mehr ausgestellt. Auch weil die Verantwortlichen negative Publikumsreaktionen befürchteten.

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Indigene Völker fordern Schrumpfköpfe zurück
aus Wissen aktuell vom 09.11.2010.
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Eine Frage des Unrechts und der Herkunft Altägyptischer Mumien, wie man sie derzeit im Antikenmuseum Basel sieht, scheinen dagegen weniger zu polarisieren. In der Ausstellung «Ägypten. 3000 Jahre Hochkultur am Nil» werden drei mumifizierte Körper gezeigt: Eine Kinderleiche, eine in Papyrus gewickelte Mumie und ein nackter Mumienkörper, aufgebahrt zwischen Sargwanne und Sargdeckel.

Vor 3000 Jahren glaubten die Ägypter, dass der Verstorbene nur dann auferstehen und sein irdisches Leben im Reich der Toten fortsetzen könne, wenn die Seele seinen Körper nach dem Tod wiedererkenne. «Natürlich ist das interessant, wie die alten Ägypter ihre Toten auf eine Art weiterleben lassen. Aber ich frage mich, ob das gut ist, die Toten aus ihrem Sarg herauszuholen und auszustellen», kommentiert eine Besucherin.

Für Museumskuratorinnen wie Wibke Ahrndt dient der Umgang mit menschlichen Überresten in der Herkunftsgesellschaft als Richtschnur. In Ägypten hat man den Handel und den Export von Mumien zwar mittlerweile verboten, im Nationalmuseum in Kairo werden sie jedoch ausgestellt.

Ist ein Leichnam noch Subjekt oder schon Objekt?

Problematischer ist es dagegen mit anderen Herkunftsgesellschaften: «Es gibt Gesellschaften im pazifischen Raum, die das Präsentieren von Verstorbenen, das Zeigen von Fotografien und invasive Untersuchungen ablehnen. Es gibt beispielsweise Gesellschaften in Neuguinea, wo die Schädel von Verstorbenen nur in Männerhäusern gezeigt wurden. Das muss ich als Museumsmacherin respektieren und berücksichtigen.»

Ist ein Leichnam noch Subjekt oder schon Objekt? Lange Jahre ging man in den Ethikrichtlinien des Deutschen Museumsbundes davon aus, dass nach vier bis fünf Generationen die Erinnerung an einen Menschen aus ethnologischer Sicht verblasst. Nach 125 Jahren konnten menschliche Überreste gezeigt werden.

Das ist jetzt nicht mehr so: «Unser Anliegen ist, dafür zu sensibilisieren, dass wir hier nicht von Objekten sprechen, sondern von Subjekten und uns immer wieder vergegenwärtigen, dass wir es hier mit Verstorbenen zu tun haben. Die Würde von Verstorbenen kann nur von uns Lebenden gewahrt werden», sagt Ahrndt.

Beispiel «Barfüssermumie»

Sehr anschaulich wird das anhand einer weiblichen Mumie in Basel. Die Frau ist seit 250 Jahren tot. Anhand von DNA-Analysen konnte man nun die Nachfahren der sogenannten Barfüssermumie identifizieren. Sogar Boris Johnson soll ein Ur-ur-ur-ur-ur-enkel dieser Anna Catharina Bischoff sein.

Die Mumie wird ab 20. Oktober 2021 im Naturhistorischen Museum Basel ausgestellt: Neu nun nicht mehr nackt wie bei den vorherigen Präsentationen, sondern in einer Art Gruft, Brust und Genitalien verdeckt.

Mumie
Legende: Unser Pietätsempfinden verändert sich – und damit auch die Art, wie wir Museumsexponate anschauen. Das zeigt auch das Beispiel der Basler «Barfüssermumie». Naturhistorisches Museum Basel

Der Kurator und Forschungsleiter, Gerhard Hotz begründet seine Entscheidung: «Ich will nicht eine Frau, die vor 300 Jahren gelebt hat, und deren Nachfahren wir kennen, nackt ausstellen. Das ist eine Frage von Respekt und Ethik.»

Die Barfüssermumie zeigt: Auch wenn das Pietätsempfinden stark subjektiv ist, sobald wir einen persönlichen Bezug zu den Toten oder deren menschlichen Überresten haben, verändert sich auch unser Umgang mit ihnen. Der respektvolle und sensible Umgang sollte nicht nur für Vorfahren aus dem europäischen Kulturkreis gelten, sondern auch für die Toten anderer Kulturen.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 21.09.21, 9:03 Uhr;

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