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Auslandschweizer 1945 So erinnert sich die SRF-Community an die Rückkehr nach dem Krieg

Die Schilderungen von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern, die bei Kriegsende in die Heimat zurückkehrten, haben auch unsere Facebook-Community bewegt. Ein Auszug der Reaktionen.

Es war Abneigung pur, die den knapp 10'000 Ausland-Schweizerinnen und -Schweizern entgegenschlug, als sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz zurückkehrten. Der grösste Teil aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reichs, wo sie vor der Sowjetmacht flüchteten.

Zahlreiche Radiohörerinnen und Facebook-User erzählen in Mails und in Kommentarspalten, dass sie sich durch die Berichte der Zeitzeugen an die eigene Familiengeschichte erinnert fühlten.

Besonders ein Facebook-Post sorgte für emotionale Reaktionen in unserer Community:

Erinnerungen der SRF-Kultur-Community

Für Marianne Rüdlinger aus Niederuzwil zum Beispiel deckt sich das Gehörte und Gelesene mit den «Erlebnissen meiner Grosseltern, die mit ihren drei kleinen Kindern nach Kriegsende aus dem russisch besetzten Teil Deutschlands zurück in die Schweiz flüchteten.»

Man hat mich als Knabe im Berner Oberland als «Gashahne» beschimpft.
Autor: Johannes Lortz

Man rief sie «Sauschwaben» oder «Nazis», oder auch «als Rucksackdeutsche», wie Gregor Gysin berichtet. Und Johannes Lortz, Sohn von Heimkehrern, schildert, man habe ihn als Knabe im Berner Oberland als «Gashahne» beschimpft.

Die Stimmung in der Schweiz war sehr antideutsch.
Autor: Christina Späti Professorin für Zeitgeschichte

Vorschnelle Einschätzungen

Es gibt auch relativierende Stimmen: «Die Beleidigungen muss man auch im historischen Kontext verstehen», schreibt Adrian Georges. Und Esther Krebs: «Es war eine ganz andere Zeit als heute.»

«Die Stimmung in der Schweiz war sehr antideutsch», sagt Christina Späti, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. «Der Umstand, dass diese Heimkehrer unter dem Hitlerregime in Deutschland geblieben waren und erst bei Kriegsende vor den Kommunisten flüchteten, führte dazu, dass man sie häufig als Nazis einschätzte.»

Was kaum der Wahrheit entsprach: Die Heimkehrer hatten sich laut Späti zwar mit dem Nazistaat «irgendwie arrangiert». Aber: «Sie waren wahrscheinlich nicht Hardcore-Nazis.»

Ich habe mich sogar geweigert, Hochdeutsch zu sprechen.
Autor: Annie Griffiths

Die Sprache als Kainsmal

Besonders nachteilig sei gewesen, wenn Rückwanderer kein Schweizerdeutsch sprachen: «Seit den 1930er Jahren gab es in der Schweiz in Abgrenzung zu Deutschland eine eigentliche Mundartwelle. Das Hochdeutsche war verpönt.» Wer es in der Öffentlichkeit sprach, «setzte sich automatisch ins Schaufenster.»

1945 – Kriegsende in Europa

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Legende: SRF

Vor 75 Jahren im Jahr 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Und auch die kriegsverschonte Schweiz wurde von diesem historischen Moment beeinflusst. Die frühe Nachkriegszeit ist jedoch eine spannungsvolle Leerstelle im historischen Gedächtnis des Landes.

Mit dem Schwerpunkt «1945» will SRF Fragen beantworten, Diskussionen anregen und das Verständnis für die damaligen Ereignisse fördern.

Alle bisherigen Beiträge zu «1945» und zum Kriegsende allgemein gibt es hier .

Annie Griffiths, die als Tochter einer Deutschen und eines Schweizer Vaters in der Schweiz aufgewachsen ist, erinnert sich, dass in ihrer Familie alles Deutsche als «schlecht» gegolten habe. Die Mutter habe nicht widersprochen. «Und ich habe mich sogar geweigert, Hochdeutsch zu sprechen.»

Es war eine ganz andere Zeit als heute.
Autor: Esther Krebs SRF-Hörerin

Nachwirkung bis heute?

Laut dem Kommentar von Fredi Gurtner hat diese Stimmung Auswirkungen bis in die Gegenwart: Es sei «historisch begründet», dass «wir Schweizer vieles nicht lieben, welches aus Deutschland kommt».

So ist in der Schweiz etwa bis heute eine reflexartige Antipathie gegenüber der deutschen Fussballnationalmannschaft weit verbreitet. Für Christina Späti ist dies allerdings kaum eine direkte Folge des Weltkriegs.

Die Ursache liege eher auf Schweizer Seite: «Es ist das typische Verhalten eines kleinen Landes gegenüber einem Nachbarn, der die gleiche Sprache spricht, jedoch viel grösser und kulturell dominant ist.»

Nicht das dunkelste Kapitel

Die vielen Reaktionen der SRF-Community zeigen, dass der fragwürdige und wenig aufgearbeitete Umgang der Schweiz mit den Heimkehrern bewegt. Er sei «bestimmt kein Ruhmesblatt», sagt Historikerin Christina Späti.

Allerdings habe man sich damals in einer Zeit befunden, in der «viel ethisch Fragwürdiges» geschehen sei. Im Vergleich zur hartherzigen Flüchtlingspolitik der Schweiz während des Krieges, sei das Los der Heimkehrer insgesamt weit weniger dramatisch gewesen.

«Man hat diese Menschen zwar nicht willkommen geheissen. Aber sie bekamen in der Regel doch die Möglichkeit, sich in der Schweiz ein neues Leben aufzubauen.»

Historiker Jacques Picard über die Relevanz von Zeitzeugen

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Es sei fragwürdig, aus dem Nachhinein Kritik zu üben am Verhalten unserer Vorfahren – so der Tenor der Facebook-Community von SRF 2 Kultur.

Der emeritierte Geschichtsprofessor Jacques Picard nimmt dazu Stellung. Er war von 1996 bis 2001 Mitglied der «Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg».

SRF: Ist es anmassend, wenn wir uns heute kritisch mit der Zeit vor 75 Jahren auseinandersetzen?

Jacques Picard: Nein. Allerdings muss man sich als Historiker stets bewusst sein, dass wir – wie die Akteure von damals –gleichsam Kinder unserer Zeit sind. Man muss sich immer auch selbstkritisch fragen, inwiefern unser Interesse an historischen Erkenntnissen auch von unserer gegenwärtigen Lebenswelt mitbeeinflusst wird.

Zudem gilt es die Quellen selbst kritisch zu betrachten: Wie sind die Dokumente zustande gekommen, auf die wir uns stützen, und was ist daraus lesbar oder eben auch nicht? Oder: In welchem Zusammenhang wurden Aussagen gemacht oder Entscheidungen gefällt?

Das heisst, dass sich jede Generation ihr eigenes Bild der Geschichte macht?

Genau. Geschichte ist immer eine Konstruktion. Ein andauernder Prozess, der bestehende Bilder komplementiert, relativiert und neu konstruiert. Wahrheit hat niemand, es gibt lediglich Annäherungen und ein Verstehen darüber, was in der vergangenen Zeit die Bedingtheiten und Dilemmata gewesen waren.

Also kann man ja eigentlich alles behaupten…

Überhaupt nicht! Mit Beliebigkeit hat das nichts zu tun. Vielmehr gilt es, das Quellenmaterial redlich und lauter abzuwägen, dabei auch Widersprüchlichkeiten offenzulegen und die genutzten und ungenutzten Handlungsspielräume der damaligen Akteure abzuwägen. Erst so verdichtet sich das Bild einer Epoche.

Weshalb genügt es nicht, einfach Zeitzeugen zu befragen, die damals dabei waren?

Weil Erinnerung stets eine fluide Sache ist. In unserem Gedächtnis verschieben sich Fakten oft nach subjektivem Ermessen. Wir bauen auch unbewusst Dinge ein, die wir erst später gehört oder gelesen haben.

Zeitzeugen sind wertvoll und wichtig, wenn wir deren Aussagen nicht blind hinnehmen, sondern sie in Bezug setzten können zu anderen historischen Quellen.

Das Gespräch führte Felix Münger.

SRF2 Kultur, Passage, 06.11.2020, 20:00 Uhr. ; 

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