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Jovinta dos Santos Pinto über Black Lives Matter und Social Media
Aus Kultur-Aktualität vom 04.06.2020. Bild: Thomas Knellwolf
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«Black Lives Matter» «Hört uns zu, informiert euch und unterstützt uns»

Ein schwarzes Quadrat, um Solidarität zu zeigen: Bei der #BlackOutTuesday-Kampagne haben sich in den letzten Tagen in den sozialen Medien viele Menschen mit der Black-Lives-Matter-Bewegung solidarisiert und gegen Rassismus ausgesprochen.

Wie sinnvoll sind solche Solidaritätsaktionen im Netz? Sie können Sichtbarkeit schaffen, sagt die Kulturwissenschaftlerin Jovita dos Santos Pinto. Aber damit sei es nicht getan.

Jovita dos Santos Pinto

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Jovita dos Santos Pinto ist Kulturwissenschaftlerin und Mitglied von Bla*Sh - dem Netzwerk schwarzer Frauen in der Schweiz. Sie forscht an der Universität Bern mit Schwerpunkt auf Postkolonialismus und arbeitet aktuell an einer Dissertation zu schwarzen Frauen in der Öffentlichkeit der Schweiz.

SRF: Wie nehmen Sie die aktuellen Solidaritätsaktionen in den sozialen Medien wahr?

Jovita dos Santos Pinto: Für mich sind jegliche Solidaritätsbekundungen zu begrüssen. Rassismus findet sich in allen Gesellschaftsbereichen, deswegen ist es wichtig, auf unterschiedliche Wege zu protestieren – sowohl in der Schweiz wie auch an anderen Orten.

An den schwarzen Quadraten der #BlackOutTuesday-Kampagne gab es auch Kritik. Können Sie diese nachvollziehen?

Das Problem sind nicht die schwarzen Quadrate. Das Problem ist die Verwendung des Hashtags #BlackLivesMatter. Dieser ist aus der schwarzen Bewegung heraus entstanden und wird seit Jahren als Informationskanal verwendet. Gerade wenn Prominente diesen Hashtag aufgreifen, braucht es einen relativ grossen Aufwand, bis man wieder zu Informationen kommt.

Zudem haben ursprünglich zwei schwarze Künstlerinnen die schwarzen Quadrate in Umlauf gesetzt, mit dem Ziel, dass die Unterhaltungsindustrie, die so viel von schwarzer Kreativität profitiert hat, unterstützend eine Pause einlegt. Dafür haben sie den Hashtag #TheShowMustBePaused erfunden. In der weissen Aneignung entstand dann das.

Eine informierte Solidarität zu zeigen, scheint weiterhin schwierig.

Was für mich hier sichtbar wird: Es gibt sehr schnell einen Aufschrei und Entsetzen, wenn Videos von Polizeigewalt zirkulieren. Aber genau zuhören, und eine informierte Solidarität zu zeigen, scheint weiterhin eine Schwierigkeit.

Das heisst, schwarze Aktivistinnen und Organisationen auch zu fragen: Wie kann ich euch unterstützen? Eine gute Absicht reicht nicht, wenn sie ohne Austausch vorschnell vorprescht.

Wie können sich aktuell weisse Menschen solidarisch verhalten? Soll man auch als nicht von Rassismus betroffene Person seine Stimme erheben – oder sie lieber anderen überlassen?

Die Teilnahme von weissen Personen an diesen Kundgebungen und Kampagnen wird oft als Solidarität wahrgenommen. Das vermittelt die Vorstellung, dass man solidarisch ist mit etwas, das eigentlich nichts mit uns selber zu tun hat. Aber wenn es darum geht, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, dann betrifft das uns alle.

Wenn es darum geht, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, dann betrifft das uns alle.

Was aber aktuell auch hörbar wird, ist die Forderung oder die Einladung von schwarzen Menschen: «Ja natürlich, unterstützt uns. Aber hört uns zu, informiert euch. Arbeitet mit uns, nicht über unsere Köpfe hinweg.» Das fordert einen Blickwechsel.

In den sozialen Medien werden dazu aktuell viele Listen geteilt oder Anleitungen erstellt, wie man sich richtig verhalten soll. Zeigt sich daran auch eine gewisse Verunsicherung?

Verunsicherung ist ja nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. Einerseits verweist sie darauf, dass man nach neuen Verhaltensmustern sucht. Andererseits hängt es damit zusammen, dass die Diskussion rund um Rassismus und rassistische Strukturen sehr marginal ist – gerade in der Schweiz.

Die gängige Vorstellung ist, dass die Schweiz weder eine Kolonial- noch eine Rassismusgeschichte hat. Das hat eine grosse Auswirkung darauf, ob und wie man Diskriminierungsmomente überhaupt wahrnimmt.

Um sich damit auseinanderzusetzen, sind diese Listen, die aktuell zirkulieren und auf die man zurückgreifen kann, wesentlich. Aber ebenso, dass lokale Organisationen direkt unterstützt und gestärkt werden.

Video
Aus dem Archiv: Jovita dos Santos Pinto über Alltagsrassismus
Aus Radio SRF 3 Clips vom 03.05.2019.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 9 Sekunden.

Denken Sie, dass die aktuelle Aufmerksamkeit für schwarze Anliegen in der Schweiz auch konkrete Veränderungen abseits der sozialen Medien vorantreiben kann?

Es öffnet sich der Blick für Geschehnisse, die sonst selten aufgegriffen und thematisiert werden. An den Demonstrationen in Bern und Zürich war ich beeindruckt, wie gross der Anteil von schwarzen Personen war, die mitgelaufen sind, im Vergleich zu früheren antirassistischen Demonstrationen in der Deutschschweiz.

Das ist neu. Ich glaube, da zeichnet sich ein neues Selbstverständnis einer Generation von schwarzen Menschen und anderen Menschen of Color in der Schweiz ab, die auf Veränderung pochen.

Das Gespräch führte Mirja Gabathuler.

Drei Lesetipps von Jovita dos Santos Pinto

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Zur Rassismus und Racial Profiling in der Schweiz:

  • Mohamed Wa Baile / Serena Dankwa / Tarek Naguib / Patricia Purtschert / Sarah Schilliger (Hg.): «Racial Profiling. Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand.» Transcript 2019.
  • «Racial Profiling: Erfahrungen - Wirkungen - Widerstand.» Rosa Luxemburg Stiftung 2019. Kostenlos als Download verfügbar.

Zu Rassismus in der Gesellschaft generell:

  • Tupoka Ogette: «Exit Rascism. Rassismuskritisch denken lernen.» Unrast 2019.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 3.6.20, 6:50 Uhr;

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