Der Bäcker Robert Baumann findet für seine Familie mit neun Kindern im Kanton Zürich kein Dach über dem Kopf: «Überall, wo ich damals hinkam, um eine Wohnung zu mieten, hiess es, ich habe zu viele Kinder.»
Die Baumanns fahren deshalb im November 1920 mit dem Zug über Paris nach Bordeaux.
Auf nach Übersee!
In Bordeaux gehen sie an Bord eines Dampfschiffs, das sie nach Brasilien bringt. Südamerika ist zu dieser Zeit neben den USA und Kanada ein häufiges Ziel für verarmte Bauern, Handwerker und Arbeiterinnen aus der Schweiz.
Die Auswanderung beginnt dramatisch: Auf dem Schiff brechen die Masern aus. Das jüngste Kind, das anderthalb Jahre alte «Hedeli», erkrankt und muss nach der Ankunft in Rio de Janeiro mit seiner Mutter in ein Spital in Quarantäne.
Masern, Malaria, Milben
Die restliche Familie kommt vorerst auf einer Insel vor Rio unter. Baumann weiss nicht, wie es weitergehen soll: «Nun begann das Raten, wohin wollen wir gehen.» Die unschlüssigen Auswanderer suchen das Konsulat auf und werden dort dafür kritisiert, dass sie «so ins Ungewisse hinein» hergekommen sind.
Bald darauf trifft Baumann ein doppelter Schicksalsschlag: Sein «Hedeli» stirbt an Masern, seine Frau kurz darauf an einer Infektion. Er steht nun mit acht Kindern allein da und beschliesst, in eine deutsche landwirtschaftliche Kolonie in Martinho Campos zu ziehen, die Arbeitskräfte sucht.
Der Weg ins Landesinnere ist in der Regenzeit sehr beschwerlich: Mit einem Ochsenkarren geht es tagelang durch unwegsames Gelände. Nach der Ankunft kann er wegen des Regens wochenlang nicht arbeiten und verdient nichts. Die Kost ist karg, die Situation bedrohlich: Baumann kämpft mit giftigen Kröten und Schlangen. Die Kinder leiden an Flöhen und Milben. In der Kolonie treten Malariafälle auf.
Baumann flüchtet mit den Kindern nach Belo Horizonte, in die nächste Stadt. Hier findet er eine Stelle als Ofenarbeiter, erkrankt aber an Malaria und muss ins Spital. Nachdem er sich erholt hat, erhält er den Auftrag, eine Konditorei einzurichten. Doch seine Patisserie wird ein Flop, der Laden wegen eines betrügerischen Geschäftsführers geschlossen.
Rückkehr ins Elend
Seine nächste Station ist eine Kaffeeplantage. Hier muss er feststellen, «dass wir die Sache noch schlecht verstanden und so auch nicht viel verdienten». Er nimmt deshalb eine neue Stelle als Konditor bei einem Schweizer in São Paulo an.
Als ihn erneut das Malariafieber packt und auch die Kinder erkranken, entschliesst er sich zur Rückkehr. Er bittet das schweizerische Konsulat um finanzielle Unterstützung. Auf der Heimfahrt kommen die Emotionen hoch, denn es geht «auch da einer ungewissen Zukunft entgegen».
Sie steigen im Oktober 1921 in Zürich aus dem Zug und übernachten bei der Heilsarmee. Bald treten Armenpflege und Pro Juventute auf den Plan. Fürsorge und Zwang gehen Hand in Hand, die Kinder werden fremdplatziert: «Bei jedem Abtransport eines Kindes war es mir, als ob ein Stück meines Herzens abgerissen würde.»
«Meine Reise nach Brasilien!» ist eine Geschichte des Scheiterns. Baumann hat sie verfasst, um allen zu danken, die ihn in Brasilien unterstützt haben – und um «alle die Auswanderungslustigen zu warnen, dass sie sich noch einmal besinnen sollen, bevor sie gehen».