Es ist die einfachste Verkleidung der Welt: Bettlaken nehmen, über den Kopf ziehen, Augen ausschneiden, fertig. Beliebt sind Gespenster nicht nur bei Verkleidungsmuffeln. Süsse Geisterwesen gibt’s auch als Kuscheltier, Emoji oder T-Shirt. Besonders gern zu Halloween gesehen.
Gespenster haben eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Einst waren sie nicht süss, sondern schauderhaft. Das uniforme weisse Laken ist tatsächlich ein Leichentuch.
Bis weit ins 18. Jahrhundert spukten sie als «schröckliche Gespengster» mit Vorliebe nachts an Kreuzwegen oder am früheren Wohnort, häufig waren sie einst ermordet worden und kehrten zurück, bis die Tat aufgeklärt wurde. Siehe Shakespeare, Auftritt: der Geist von Hamlets Vater.
Stoff für Geschichten
Als «Weisse Frau» oder «Banshee» tauchen Geisterwesen in allen Kulturen auf. Die älteste Überlieferung einer Gespenstergeschichte findet sich auf einer 3500 Jahre alten babylonischen Tafel.
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Bild 1 von 3. Gespenster sind beständige Protagonisten der Popkultur: vom «Stay Puft Marshmallow Man» aus «Ghostbusters» (1984) … . Bildquelle: IMAGO/Picturelux.
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Bild 2 von 3. ... über «König Huu Huu» aus der Nintendo-Welt um «Super Mario» und Co. …. Bildquelle: Nintendo.
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Bild 3 von 3. … bis zu den Widersachern von «Pac-Man» im gleichnamigen Videospiel aus den 1980er-Jahren. Bildquelle: Keystone/AP/Str.
Geister lieferten vermutlich schon immer den Stoff für die Geschichten, die sich Menschen erzählen. Kein Wunder, verbinden sie doch verlässlich Grusel und Unterhaltung. Süss aber wurden die Gespenster erst im 20. Jahrhundert.
Pionierarbeit leistete dabei der erste «Ghostbusters»-Film aus dem Jahr 1984 mit dem «Stay Puft Marshmallow Man» und dem unvergessenen Bill Murray als Geisterjäger.
Herziges Verdrängen
Auch die US-amerikanische Künstlerin Angela Deane malt herzige Gespenster. Oft nutzt sie dafür alte Fotos. Gelb verblichen sind nicht nur die Farben dieser Bilder, auch die Menschen darauf sind längst verschwunden. Und wahrscheinlich vergessen.
Nur vordergründig ist das süss. Denn Deane hält den Weg allen Lebens fest: Tod und Vergessen. Beides maskieren wir gern mit süssen Gespenstern.
Dass das Verdrängen die herausragende Leistung des 21. Jahrhunderts im Umgang mit allem Geisterhaften ist, mit allem also, was nicht mittels Technik und Rationalität erklärt werden kann: Das ist wohl die Haupterkenntnis in der aktuellen Ausstellung «Geister» im Kunstmuseum Basel.
Neben Angela Deanes übermalten Fotos leuchtet im ersten Raum eine Neonschrift der irischen Künstlerin Susan MacWilliam: «Where are the dead?», fragt das Werk flackernd. Bloss Antwort gibt’s keine.
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Bild 1 von 4. Keine Geisterbahn: Auch zeitgenössische Kunst thematisiert Geister. So im Werk «Where are the dead?» von Susan MacWilliam, …. Bildquelle: Susan MacWilliam/CONNERSMITH.
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Bild 2 von 4. … «Tell my mother not to worry (ii)» von Ryan Gander, … . Bildquelle: Private Collection/Anish Kapoor/Ken Adlard.
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Bild 3 von 4. … «Geist und Blutlache» von Katharina Fritsch …. Bildquelle: ProLitteris/Philadelphia Museum of Art/Max Ehrengruber.
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Bild 4 von 4. … oder «Fantasmino» von Tony Oursler – zu sehen in der Ausstellung «Geister» im Kunstmuseum Basel. Bildquelle: Courtesy of Tony Oursler/Andrea Guermani.
«Wo sind denn all die Toten? Wo geht ihre Lebensenergie hin?», doppelt Kuratorin Eva Reifert im Gespräch nach. Sie hat als Kuratorin die Ausstellung im Kunstmuseum Basel entwickelt. Die Frage nach den Toten ist zwar uralt, braucht aber heute eine gute Portion Mut.
Lieber keine Gespenster
Spukphänomene haben in einem auf Rationalität und Effizienz getrimmten Weltbild keinen Platz. Halluzinationen dürfen als Erklärung allenfalls herangezogen werden.
Auch wenn tausende Menschen unerklärliche Erfahrungen machen und viele Kulturen ganz selbstverständlich von Geistern ausgehen: «Man könnte auch sagen, nur wir Europäerinnen und US-Amerikaner stellen uns bei dem Thema etwas schwierig an», so Reifert spöttisch.
Weniger schwierig machten es sich die Menschen im 19. Jahrhundert. Geisterglaube war da noch nicht verdächtig, bloss wissenschaftlich bewiesen waren die Phänomene noch nicht.
Beflügelt von technischen Erfindungen schien auch das möglich, sagt Kuratorin Eva Reifert: «Eben war die Telegrafie erfunden worden, das Telefon und die Tonbandaufzeichnung. Warum also sollte man nicht auch mit Toten reden können?»
Fotos als Spukbeweise
Insbesondere die junge Technik der Fotografie übernahm eine Paraderolle. Zahlreiche Wissenschaftler und Betrüger versuchten Geister abzulichten. Unter ihnen auch der als «Geisterbaron» verspottete Parapsychologe Albert Freiherr von Schrenck-Notzing, der «Séancen» veranstaltete.
Die unerklärlichen Ereignisse, die dort passierten, wurden mit Fotos festgehalten: Da quillt eine weisse Substanz aus dem Mund eines dunkel gekleideten Mediums, Materie wächst aus dem Kopf, Blitze treten auf. Alles höchst bizarr.
Ähnliches berichtete auch der Schriftsteller Thomas Mann, der eine der Séancen besuchte: «Das war nicht möglich – aber es geschah. Der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge.»
Für die sogenannte «Geisterfotografie» liessen sich zum Beispiel Witwen fotografieren, hinter ihnen ist der tote Mann zu sehen: als schemenhafter Geist. Das Geschäft lief, denn die Fotos erzählten den Hinterbliebenen, was sie hören wollten, dass nämlich die Toten noch «da» seien. Erst aufsehenerregende Prozesse legten den betrügerischen Fotografen, die international tätig waren, das Handwerk.
Der Blick ins 19. Jahrhundert ist faszinierend und zeigt deutlich, dass heute anders mit Gespenstern umgegangen wird. Sie werden süss gemacht oder zur Halluzination erklärt, auch eine Art der Kontrolle. Im 21. Jahrhundert wird nicht gern über Unerklärliches gesprochen.
Der renommierte britische Assyriologe Irving Finkel betont im Vorwort des Basler Ausstellungskatalogs denn auch: «Menschen, die einem, wenn sie nur wollten, das eine oder andere über Geister erzählen könnten, fürchten Spott und Hohn.»
Gibt es sie denn nun oder nicht?
Die US-amerikanische Künstlerin Corinne Botz hat den Menschen unvoreingenommen zugehört und ihre Erlebnisse und Geschichten gesammelt. Zehn Jahre lang besuchte die Fotografin 100 «Haunted Houses» – also Spukhäuser. Sie sammelte die Gespenstergeschichten der Bewohnerinnen und Bewohner und dokumentierte mit ihrer gleichnamigen Fotoserie die Orte, an denen es angeblich spukt.
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Bild 1 von 3. Ist das Gruslige da oder in meinem Kopf? Die Künstlerin Corinne Botz entführt für ihr Projekt «Haunted Houses» in Häuser ... Bildquelle: Corinne May Botz.
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Bild 2 von 3. … in denen es gespenstert. Allein der Anblick von Details in den Häusern verursacht ein mulmiges Gefühl. Bildquelle: Corinne May Botz.
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Bild 3 von 3. Welchen Anteil am Erschaudern hat echter Spuk – und was ist einfach nur erlernte Angst und Grusel? Bildquelle: Corinne May Botz.
Die Frage, ob es Gespenster wirklich gebe, habe sie nie interessiert, sagt die Künstlerin im Interview. Sie habe den Menschen einfach zugehört.
Von fliegenden Teetassen hörte Botz, von sich mysteriös schliessenden Türen und freundlichen Wesen, die eher an Mitbewohner als an Gespenster denken lassen. Die Fotos der Künstlerin erforschen mit den Mitteln der Fotografie das Unheimliche. Lässt es sich an den Spukhäusern festmachen, oder entsteht es schlicht und einfach in unseren Köpfen?
Und so schleicht sich schemenhaft auch eine Einsicht an: Mutig ist nicht, wer mit Kameras Gespenster jagt. Mutig ist es, als Skeptikerin alle Zweifel auszuhalten und den Gespenstergeschichten anderer einfach zuzuhören.